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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 13.1915

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Heft 7
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Neumann, Max: Kriegserlebnisse eines Berliner Malers: mit zwei im Felde angefertigten Radierungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.4714#0352

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Der 2. November. Morgens 5 Uhr, bei hellem
Mondschein verlassen wir das Dorf, in der Dämme-
rung werden die steilen Berghänge erklommen, bis
der Rand des Plateaus erreicht ist. Unsere schwere
Artillerie donnert, sie soll die französischen Stel-
lungen sturmreif machen. Ein strahlend schöner
Tag steigt auf, langsam klettert die Sonne an den
gegenüberliegenden Hängen herab, nur die Tal-
sohle liegt noch im Schatten; tief unten leuchten
die blauen Schieferdächer von Ostel. Die Kom-
pagnien werden auseindergezogen, Maschinenge-
wehre eingereiht, schon pfeifen die Kugeln über
unsere Köpfe. Punkt 10
Uhr setzt der Sturm ein;
rasch noch eine Zigarre an-
gesteckt, die letzten Meter
erklommen, schon fallen die
ersten. Es saust, surrt, pfeift,
rechts und links, überall.
Gegen 300 m sind wir vor-
gerückt über Verhaue und
Stacheldraht, dann gehts
nicht weiter, aber auch nicht
mehr zurück; fest an die Er-
de gedrückt liegen wir in
einem mörderischen Feuer.
Mein rechter Nebenmann
schreit auf, schwerer Lun-
genschuss; sein Nachbar
will ihm behilflich sein —
durch den Kopf getroffen
sinkt er lautlos zusammen.
Ein paar Meter links kriegt
ein Unteroffizier einen Brust-
schuss; ich sehe ihn noch,
wie er sein Gepäck ablegt,
den Helm abnimmt, die

Feldmütze vorsucht. Lang legt er sich auf den
Rücken, Kopf auf den Tornister, die Hände ge-
faltet — tot. Gerade fange ich an mich einzu-
graben, ein kleiner Hügel schützt schon den Kopf,
da — ein furchtbarer Schlag gegen mein linkes
Bein, ich fahre herum, das Blut springt aus dem
Stiefelschaft — verwundet. Ein Augenblick gren-
zenloses Erstaunen, dann Angst zu verbluten — es
strömt und strömt. Verbinden hier unmöglich,
ich will versuchen zurückzukriechen; nur die

MAX NEUMANN, UNTERSTAND. RADIERUNG

Feldflasche nehme ich mit. Ich gi< übte zu krie-
chen, wie ich aber später gehör habe, wankte
ich aufrecht über das flache Feld als einzig sicht-
bares Ziel! Ich bin nicht weit gekommen. Wieder
ein Schlag, meine Feldflasche fliegt in weitem
Bogen, der Arm dreht sich ein paar Mal um
seine Achse, regungslos liege ich auf dem Rücken,
wie angenagelt. Nass und warm von Blut wird's
unter mir, aber dann überfällt mich plötzlich
der Frost. Mit der linken Hand kann ich die Uhr
ziehen, es ist kurz vor 1 2. Ich starre in den blauen
Himmel und denke... Die Geschosse pfeifen über
mich weg, Schrapnells plat-
zen über mir, Granaten
krepieren und decken mich
mit Erde zu. Frierend star-
re ich in den mitleidlosen
blauen Himmel. Wenn es
nur erst dunkel wäre! ich
beuge den Kopf rückwärts,
dann kann ich die Sonne
sehn; aber noch steht sie
verzweifelt hoch. Stunde
um Stunde verrinnt . . ich
fange an zu singen. . . .

Ein Denkmal jetzt mei-
nem Kameraden Gerhard
Freund. Er sah mich fallen;
aus seiner kleinen Deckung
taucht er auf und kommt, mir
zuzusprechen; auf allen Vie-
ren kriecht er die 300 m
zurück, um Sanitäter heran-
zuholen, und kommt wie-
der mit einem Trost. Hun-
dertmal hat er auf diesem
schrecklichen Gang sein
Leben für mich eingesetzt.

Stunde auf Stunde verrinnt . . . der Mond
leuchtet jetzt über das Schlachtfeld, Stöhnen rings-
um. Sanitäter kommen und gehn, endlich werde
ich vorsichtig auf eine Bahre gelegt. Hoch! Regel-
mässig und sanft schwanke ich auf und nieder,
mir ist, als segelte ich durch den blassblauen, über-
glänzten Himmel, an den meine Augen sich heften.
Nichts anderes sehe ich; und immer dies Wiegen.
Eine mystische Ruhe erfüllt mich —



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