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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 13.1915

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Heft 7
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Chronik
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W. WAGNER, GEFANGENE AUF DEM WEG ZUK ARBEIT. ZEICHNUNG

manns „Nähschule im Amsterdamer Waisenhause", ein
Bild, das jetzt in Elberfeld hängt, und nun wusste er,
welchen Weg er zu gehen habe. Der Weg führte nach
Paris, nach Holland. Zunächst aber gab es noch eine
besondere Periode: Fortuny. Es ist überall zu lesen,
Kuehl sei ein SchülerFortunys gewesen. Das ist natürlich
falsch, denn Mariano Fortuny war schon sechs Jahre tot,
als Kuehl nach Paris kam, und Fortuny, der römische
Spanier, war überhaupt nur vorübergehend in Paris ge-
wesen. Die Sache lag vielmehr so, dass die Pariser Welt
noch lange nach Fortunys Tode Fortunybilder, das heisst
Barockszenen, Typen von Kunstliebhabern, Sammlern,
Bibliophilen und strotzende Atelierinterieurs zu kaufen
begehrte, — und da kam Goupil auf den gescheiten
Gedanken, fürs Fortunyfach einen geschickten jungen
Mann zu engagieren. Er fand ihn in Kuehl. In der ersten
Hälfte der achtziger Jahre verdiente Kuehl sehr viel
Geld, lebte ein grosses Leben und war mächtig berühmt.

So stark fühlte er sich in
jene charmante Kunst ein,
dass jeder ihn für einen
Franzosen halten konnte.
In vielen Pariser Häusern,
auch bei grossen Meistern
fand ich Bilder und Studien
von ihm. Eins der besten
Werke seiner Fortunyzeit,
ein „Atelierbesuch", breit
und blühend in der Farbe,
ist jetzt im Besitz von
Schulte.

Aber dann kam der
Augenblick, da Kuehl sich
auf sich selbst besann, da
das niederdeutsche Geblüt
in ihm durchschlug. Wie
auf Uhde, so hat zunächst
auch auf ihn die temperierte
Volksart Bastien-Lepages
gewirkt, aber er hat kolo-
ristisch doch mehr von den
aufkommenden Malern der
farbigen Atmosphäre, den
impressionistischen Land-
schaftern, profitiert als Ba-
stien-Lepage. Kuehl ar-
beitete Jahre lang in der
Fremde, dann kam er in die
deutschen Niederungen zu-
rück, kam nach Hamburg,
in seine Heimatstadt Lü-
beck, nach Lüneburg. Es
gab bei uns wenig Maler,
bei denen eine raffinierte
Kultur so entschieden ins
schlichte Leben schlug, wie
bei Kuehl. Sein Temperament Hess sich zügeln durch
einen erlesenen Geschmack: „Verstand, der scherzt, und
Grösse, welche lächelt." Immer blieb ihm die Vorliebe
fürs Barock. Seine Welt umschliesst die Poesie der
Schiefwinkligkeir. Enge Gassen und Höfe, windschiefe
Häuschen, krumme, ausgerenkte Treppen auf graziös
verfallenen, mit Schnörkelwerk versehenen Hausfluren;
Durchblick durch eine Zimmerreihe, mit altväterlichem
Gerät vollgestellt; Kontore alter gediegener Kaufmanns-
häuser mit Gitterfenstern; Stuben aus der Biedermeier-
zeit mit flimmerndem Anstrich und hellen Stoffen. Eins
dieser Interieur war besonders lieblich und eindrucks-
voll: Sonntagssonne zieht durchs Gemach, die Bürgerin
steht, in rötlicher Mamille, in der Mitte des Raumes
zum Ausgang bereit. Die Sonne war ihm die Beseelerin.
Wie schimmert die warme Helle in den Stuben, um
auch das stumpfe, frostige Alter zu befeuern: wie ele-
gisch erhellt das zögernde Frühlicht den Saal der

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