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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 13.1915

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Heft 9
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Elias, Julius: Liebermann - Corinth
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https://doi.org/10.11588/diglit.4714#0441

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sie durch das Laub alter Bäume und ragender Büsche
zittert und in spielenden Flocken über die Wege
tanzt, an denen greise, erschöpfte Menschen sitzen,
ihnen zur Lust und Augenweide. Oder wenn sie
verklärend durch die enge Stube der armen Bauern
und Arbeiter blitzt. Oder wenn sie als rötlicher
Abendschein in duftigen Streifen am Horizont eines
weiten Feldes liegt, das den Tag über ein Feld der
Mühsal war, und in den Beladenen und Verzweifel-
ten und Müden eine leise, ferne Hoffnung weckt.
Und er malt die thauige, bläulich dampfende Däm-
merung, deren Kühle früh zur Arbeit aufrichtet
und spät wieder die Erquickung bringt. So erhält
Liebermanns strenge Wahrkunst einschmeichelnde,
abdämpfende, versöhnende Gefühlswerte, so eine
heitere Harmonie. Und dann ein Metaphisches.
Der Impressionist giebt etwas, das sich schwer mit
Worten ausdrücken lässt: das ist der Erdgeruch,
der aus der frisch umbrochenen Ackerscholle strömt

— der Duft und Dunst der lichtdurchwogten Lüfte

— der Salzgeschmack der Niederungen—die Feuch-
tigkeit der. Flussgebiete — das bedrohliche Brüten
überspannter Atmosphären — die mystische Sehn-
sucht, die über der Weite der Felder liegt — die
Unruhe der Winde — das Schweigen, wenn alles
Leben stillsteht — zögernde Sonnen und scheue

Dämmerungen — und in den menschlichen Be-
hausungen der Dunstkreis der Kreatur.

Dieser Wahrkunst zeigte sich ebensowenig wie
dem Genie Millets die „lustige Seite des Lebens";
doch ebenso wie Millet zeigte sich dem Deutschen
Liebermann im Kreise harter Lebenstätigkeiten und
rauher Naturbedingungen immer das Menschliche
— die Poesie. Für das „Genre" setzte er das Leben
ein, das allereinfachste Leben. Er malt rüstige Bäue-
rinnen, die im Garten auf den schwellend grünen
Rasen Wäsche zum Trocknen hinlegen oder an
Seilen gegen den blauen Himmel spreiten: wer hat
hier zu Lande vor ihm in dieser Art das volle schim-
mernde Weiss auf ein saftiges Grün oder ein tiefes,
duftiges Blau gesetzt, dass es lebendig und glänzend
hinein schneidet? Er malt die Greise des Spitals,
lange, hagere, abgelebte Menschen und ihr in
schwermütiger Stille verfliessendes Dasein. Er malt
die elenden Behausungen des bäuerlichen Arbeiters:
Wohnräume, Kammer, Scheuer, Stall, Küche in
einem; das ärmliche Essen wird aufgetragen; die
Leute beten; ein Sonnenstrahl hüpft nach vorn
bis zu den Betern; wie eine heilige Schilderei. Oder
er malt aufweiten Höfen die Mädchen des Waisen-
hauses, die melancholisch in langen Reihen sitzen,
bei eintöniger Arbeit, und heimliche Gedanken spin-

MAX LIEBERMANN, NETZFUCKERINNEN. 1884
BESITZER: BRUNO CASSIRER, BERLIN

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