Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 13.1915

DOI Heft:
Heft 11
DOI Artikel:
Mayer, August Liebmann: Notizen zu Rembrandts Kunst
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.4714#0520

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
geben können." In den nachfolgenden kurzen
Untersuchungen wird es sich zeigen, welch tiefe
Wahrheit in diesem Wort WölfFlins hegt, wie die
italienischen Kunstanschauungen denen Rembrandts
diametral entgegen gesetzt sind. —

Carl Neumann hat bereits darauf hingewiesen,
wie die nordische Malerei Vorhänge, Draperien
und gemalte Rahmen zu Illusionszwecken heran-
zieht. Auch bei Rembrandts Schöpfungen kann
man dies wiederholt feststellen. Alle diese reichen
Drapierungen dienen jedoch bei Rembrandt noch
häufiger einem anderen, fast könnte man sagen
entgegengesetztem Zweck. Sie helfen nicht nur
die Szene zu verschleiern, die Szene nicht nur
nach der Tiefe, sondern auch nach oben hin
immer mehr verdämmern zu lassen, sondern sie
tragen neben anderen Momenten, von denen
gleich die Rede sein wird, dazu bei, das, was an
Struktivem, Tektonischem in dem Bilde vorhanden
ist, in ganz seltsamer Weise aufzulösen. Gerade
wenn man diese Dinge verfolgt, erkennt man, wie
weit Rembrandt davon entfernt war, Bilder im ita-
lienischen Sinne malen zu wollen, wie es gar nicht
in seiner Absicht lag, einen dekorativen Schmuck
für Wände von Palästen und Bürgerhäusern zu
schaffen. Man erkennt dabei immer mehr, wie
wenig es Rembrandt darum zu thun war, Bilder in
dem gewöhnlichen Sinn des Wortes zu malen,
sondern wie er mehr und mehr, einem innersten
Drang folgend, seine Gesichte, seine Ideen auf der
Leinwand mit Farbe niederschreiben musste, wie
Rembrandt kein Gemälde schuf, um Menschen ihre
Behausungen wohnlicher zu gestalten, um Schönheit
und Harmonie zu verbreiten, sondern wie er auf
diese Weise dem Ausdruck verlieh, was ihm auf
die Nägel brannte, ganz einerlei, ob es beim Publi-
kum Gefallen fand oder nicht. Nie wurden Ge-
mälde geschaffen, die so wenig Bilder sind, wie die
Werke des reifen Rembrandt, nie aber auch Ge-
mälde, die so unendlich viel mehr sind. (Es wird
noch gezeigt werden, wie falsch Schüler Rem-
brandts dieses Wesen ihres Meisters verstanden, wie
sie es ja eigentlich gar nicht verstehen konnten.)

Einige Beispiele werden das noch klarer machen :
Man vergleiche Rembrandts „Danae" mit der „Ve-
nus" des Velazquez, um zu erkennen, wie viel näher
der Spanier als Romane der italienischen Auffassung
geblieben ist, wie bei ihm alles knapper und straffer
sitzt, das Ganze eben viel bildmässiger im land-
läufigen Sinne des Wortes wirkt, während bei
Rembrandt anscheinend alles mögliche Überflüssige

gegeben ist, jedoch mit vollem Bewusstsein, um den
Rembrandtschen Brennpunkt des Ganzen überhaupt
erst wirksam zu machen. Was das Verdämmernde
nach oben anlangt, so vergleiche man vor allem
Bilder wie die „Ehebrecherin" im Haag, die „Nacht-
wache", das Berliner Potipharbild, und vor allem
die „Anbetung der Könige" im Buckinghampalast
mit Bildern wie der „Anbetung der Könige" von
Tintoretto in der Scuola di San Rocco. Diese
Schöpfung des grossen Venezianers, die gerade in
der Behandlung des Hintergrundes schon mehr als
einen an Rembrandt erinnert hat, zeigt, wie man
in Italien auch da, wo man stimmungsvoll sein
will, auch da wo wirklich Visionen gegeben sind,
nie das Tektonische ausser acht lässt, wie das Bild-
ganze planmässig klar aufgeteilt ist, wie das starke
Gerippe überall hindurch zu verspüren ist. Man
wende nicht ein, dieses Rembrandtische Verdäm-
mern nach oben sei notwendig, um wirkliche Luft
in das Bild hineinzubringen. Darum war es Rem-
brandt erstens einmal nicht so sehr zu thun, und dann
zeigt wiederum ein Vergleich mit Velazquez und
mit dem allerdings späteren Tiepolo, wie man
atmosphärische Wirkungen sehr wohl erreichen
kann, ohne das struktive Moment derart zu unter-
drücken, wie es Rembrandt thut. Man vergleiche nur
die Nachtwache, oder Rembrandts spätes Emmaus-
bild im Louvre mit den Meninas des Velasquez oder
mit Tiepolos Abendmahl und Emmausdarstellung.

Das eigenartig Stimmungerweckende, Mysti-
sche wird aber von Rembrandt nicht nur durch ein
untektonisches Verdämmern nach oben hin erzielt,
sondern auch durch ein Verdämmern nach der
Seite und nach dem Hintergrund, oder umgekehrt
ausgedrückt, durch ein Abrücken vom Bildrand in
der Weise, dass die Gestalten sich magisch vom
Grund loslösen, wie Wundergebilde aus einem ge-
heimnisvollen Dunkel plötzlich hervor gewachsen
erscheinen; man denke nur an den Isaaksegen in
Kassel, an die Amsterdamer Judenbraut und vor allem
an das Braunschweiger Familienbild! Wo stehen,
wo sitzen diese Figuren? Kein Mensch wird es ge-
nau sagen können, aber auch keiner fragt darnach,
denn jeder hat noch hier den Eindruck, vor einem
fast überirdischen Phänomen zu stehen.

Um zum Schluss dieser kurzen Betrachtung
noch einmal zu zeigen, wie diese Art der Flächen-
füllung Rembrandts nicht nur durchaus unitalienisch
ist, sondern auch ganz von der seiner Kollegen ab-
weicht, sei auf die Familienbilder von Frans Hals im
Louvre und in der Sammlung Otto H. Kahn in New

488
 
Annotationen