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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 13.1915

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Heft 11
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Mayer, August Liebmann: Notizen zu Rembrandts Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.4714#0523

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York hingewiesen, wo ein behagliches Ausbreiten
über die ganze Fläche festzustellen ist, auch etwas
Unitalienisches, aber im entgegengesetzten Sinne wie
bei Rembrandt: was Rembrandt an Konzentration
zu viel giebt, ist bei Hals nach italienischen Be-
griffen zu wenig vorhanden. In der Aufteilung der
Fläche bei Rembrandt kann man weder von einem
symmetrischen noch asymmetrischen Prinzip reden;
man vergleiche nur den „Saul und David" im Haag
mit dem „Merkur und Argus" des Velazquez oder
die „Susanna" im Louvre mit dem „Merkur und
den drei Grazien" des Tintoretto im Dogenpalast
zu Venedig.

Über den Dualismus in Rembrandts Kunst,
nämlich den Kampf zwischen dem plastischen und
malerisch-flächigen Moment, ist schon von Neu-
mann und WölfFlin einiges Wichtige gesagt wor-
den. Man darf aber den Ausführungen dieser bei-
den noch eine Ergänzung beifügen und daraufhin-
weisen, wie Rembrandt sich um die Erzielung einer
malerischen Gesamterscheinung bemüht hat. In
den Ausführungen von Wölfflin und Neumann
war eigentlich immer mehr oder weniger von De-
tails, von Bildteilen die Rede, nie aber so recht von
dem Bildganzen. Hier möchte ich zunächst zweier-
lei unterscheiden: einmal das graphische und dann
das rein malerische Moment. Nehmen wir das gra-
phische Moment vorweg, so ist festzustellen, dass
Rembrandt auch in seiner späteren Zeit vielfach
nicht zu einem ganz geschlossenen malerischen
Gesamteindruck gelangen konnte, wie ihn etwa
Tintoretto, Velazquez und Tiepolo erreicht haben,
weil er auch in der reifen Zeit noch zu sehr vom
Detail ausging, weil auch der ältere Rembrandt,
der, um mit Wölfflin zu reden, „vom Pittoresken
zum Malerischen, vom mehr zeichnerisch, gegen-
ständlich Malerischen zum objektiv flächenhaft
Malerischen" vorgedrungen ist, nie ganz auf gra-
phisch ornamentale Details verzichten konnte. Nie
finden sich in den Köpfen seiner späteren Figuren so
vereinfachte Konstruktionen wie bei Velazquez,
oder gar bei Tiepolo (man vergleiche nur einmal
das Wiener Porträt von Rembrandts Mutter oder
das Bildnis eines Alten von 1654 in Dresden mit
den bekannten Orientalenköpfen des Tiepolo).
Gerade durch diese Art aber, auf verschiedene Ein-
zelheiten nie ganz verzichten zu können, wird der
Blick allzu oft gehemmt, ■— man könnte mitunter
von Stolpern des Blickes reden —, wird jedenfalls die
rasche und geschlossene Wirkung des Bildganzen
als Gesamterscheinung wesentlich beeinträchtigt.

Kein zweiter Maler hat so wie Rembrandt
den Händen eine Hauptrolle im Bild zugewiesen,
bei keinem sprechen die Hände eine so eindring-
liche Sprache, wie bei Rembrandt. Je reifer die
Kunst dieses Meisters wird, desto mehr wird in
den Händen das, was die Figur geistig bewegt,
in wahrhaft greifbarer Weise zum Ausdruck ge-
bracht. Während viele Künstler die Hände mög-
lichst zu verbergen suchen, einmal weil sie als
gefährliche Nebenzentren die Einheitlichkeit der
Bildwirkung zerstreuen könnte, dann auch weil
in gewissen Fällen schon der rein flächenmässige
Charakter des Bildganzen durch eine zu starke
Plastik der Hände leiden könnte, geht Rembrandts
Bestreben oft gerade darauf hinaus, die Hände
den Augen zu koordinieren, ja oft durch die
Hände erst das laut aussprechen zu lassen, was aus
den Augen seiner Gestalten ahnungsvoll hervor-
dämmert. Bis Rembrandt dies sein Ziel ganz er-
reichte, hat es natürlich alle möglichen Versuche
gekostet; dabei ist es stets von höchstem Inter-
esse, beobachten zu können, wie Rembrandt nicht
nur von einem Unvollkommenen stets zu einem
Vollkommeneren fortschreitet, sondern auch wie
eng die Wandlung dieses Einzelmotivs, die ver-
schiedene Fassung dieses Einzelproblems aufs engste
zusammengehen mit den verschiedenartigen Ten-
denzen, die er in seinen verschiedenen Perioden
verfolgte.

Im Anfang will die Handbewegung noch gar
nicht mit dem geistigen Ausdruck harmonieren:
Die erhobene Hand des Doktor Tulp bleibt hin-
ter dem geistigen Ausdruck des Professors ent-
schieden zurück; man möchte fast sagen, sie ist
schwerfälliger und unsicherer; sie spricht keines-
wegs all das klar und selbstverständlich aus, was
man aus dem Ausdruck, aus den Augen des do-
zierenden Anatomen so mühelos abliest. Auch
bei dem männlichen Bildnis der Sammlung Pour-
tales aus dem Jahre 1633 geht der Ausdruck von
Aug und Hand noch keineswegs recht zusammen.
Für die dreissiger Jahre sehr bezeichnend ist das
oft stereotype Auflegen der Hände auf die Brust.
Um das Jahr 40 herum erscheint ein Motiv, das
der Künstler dann wiederholt behandelt hat: das
Ineinander-, beziehungsweise Aufeinanderlegen der
Hände namentlich bei Frauenporträts, das mit
einem gewissen wohligen, behaglichen Ausdruck
verknüpft ist.

Rembrandt hat dieses Motiv in den fünfziger
Jahren noch mehr zu vergeistigen verstanden.

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