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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 15.1917

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Scheffler, Karl: Heinrich Tessenows Zeichnungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.4744#0039

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schönste zeigen. Hinzugefügt seien diesem Hinweis
auf die Zeichnungen nur einige Worte über die
letzten Entwürfe Tessenows. Es handelt sich um
die Pläne für ein grosses Gutshaus, die auf den
Seiten 2., 24 und 25 abgebildet sind. Diese Arbeiten
zeigen, dass Tessenows Talent in den letzten Jahren
endgültig ausgereift ist. Nach genauer Prüfung der
Tragweite der Worte kann es ausgesprochen wer-
den, dass mit solchen Arbeiten eine neue Phase
unserer in voller Verwirrung befindlichen Architek-
tur anheben könnte, dass ihre Klarheit endlich
einen reinen Klang wieder in das Gelärm gegenein-
anderkämpfender Tendenzen bringt. Die besten
Traditionen sind hier, ohne Eklektizismus, aufge-
nommen und von innen heraus fortentwickelt.
Alles Autodidaktische und anregend Dilettantische,
das zu seiner Zeit notwendig gewesen sein mag, ist
überwunden. Man beachte vor diesen kleinen
Zeichnungen wie die Fenster in der Mauer sitzen,
wie sie sich zueinander verhalten, wie die Dächer
entwickelt sind und wie die wenigen rein darstellen-
den Formen wirken. Wie der weise Komponist
nur selten zum Fortissimo greift, dann aber damit
aufs höchste wirkt, so hat Tessenow hier die Säulen,
die Gicbelform und die grossen Fenster angewandt.

Vor diesen Entwürfen stellt sich jenes Gefühl ein,
das einem sagt: es muss so sein, man hat den Ein-
druck von etwas Gewachsenem. Hier ist keine
Artistik, denn alles Künstlerische ruht auf einem
sicher gekonnten Handwerk, auf Praxis und Erfah-
rung. Das, was Tessenow selbst die „erledigte Form"
nennt, ist zur Thatsache geworden. In solchen
Architekturen lebt der preussische Stil in neuer
Lebendigkeit wieder auf. Jener Stil, der das Ge-
heimnis noch kannte, ein Gebäude mit der nordi-
schen Landschaft in Einklang zu bringen und den
Eindruck zu erwecken, als sei es, der Form und der
Farbe nach, damit verwachsen. Kein anderer Archi-
tekt hat heute diese Lauterkeit der Form, keiner
hat soviel Ernst und Anmut, soviel Reife und
Unschuld.

Darum zeichnet keiner auch so schön, so künst-
lerisch. Wenn das Publikum und die Fachgenossen
von Tessenow zu wenig halten, so sollten sich die
talentvollen Maler, die so freudig jedes Talent sonst
willkommen heissen, zu ihm bekennen. Sie sollten
sich für ihn einsetzen, indem sie seine Zeichnungen
ausstellen wie ihre eigenen und darauf hinweisen
als auf kostbare kleine Kunstwerke moderner
Zeichenkunst.

"• Li r. ?—

HEINRICH TESSENOW, GRUNDRISS DES GUTSHAUSES AUF SEITE 24 UND 25

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