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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 15.1917

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Heft 1
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Tessenow, Heinrich: Die technische Form
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https://doi.org/10.11588/diglit.4744#0041

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HEINRICH TESSENOW, STUHLE

Wert; das, was wir sehen oder überhaupt empfinden
von ihr, ist eigentlich völlig Nebensache; zum Bei-
spiel wenn wir uns vorstellen: es kommt ein Tech-
niker, der zeigt uns, er braucht die Dynamo-
maschine gar nicht, er ersetzt sie durch diese kleine
billige Kugel, die mit dem Draht verbunden ist,
und indem er diese Kugel auf den kleinen billigen
weissen Teller legt, hat er in dem Draht genau die
gleiche Spannung, für die wir die Dynamomaschine
nötig haben; das angenommen, so werden wir alle
dann ohne weiteres diese kleine billige Kugel mit
dem kleinen billigen weissen Teller der teuren
Dynamomaschine vorziehen; ihr Formenwert ist
beinahe Null, nicht ganz; denn wir sind als Men-
schen auch in jedem Fall etwas Techniker, und so
haben wir auch zu jeder technischen Form ein all-
gemein-menschliches Verhältnis, so dass wir auch
in jedem Fall einigermassen die Dynamomaschine
— abgesehen von aller Technik — rein als Form
bewerten oder verstehen und lieben können; wir
empfinden mit dieser Maschine durchaus etwas von
ihrer Kraft, so glauben wir auch dem Ingenieur
seine hochzahligen Angaben; aber das meiste davon
bleibt uns nur Glaube; was die Form uns hier von
der Kraft mitteilt, ist unendlich wenig; so haben
wir unter anderem auch kaum ein geringstes Ur-
teil über die möglichen Wirkungen dieser Kraft,

zum Beispiel es würde uns gar nicht so besonders
wundern, wenn die Dynamomaschine plötzlich
hochsteigen, auf uns los steuern und — scharf an
unserm sehr wertvollen Kopf vorbei — zum Fen-
ster hinausflitzen würde.

Die Technik sucht immer die kleinste Form
und die grösste Kraft, bejaht die Form nur als un-
vermeidlich, im übrigen verneint die Technik alle
Form; ihre wäre durchaus am liebsten etwas:
irgendwo eine Kugel oder allenfalls ein Würfel,
nicht zu gross, von da ab überallhin Drähte, ein-
fachste billige dünne Drähte, am Ende immer ein
kleiner Knopf und daneben auf einem kleinen
weissen Schild „Bitte zu drücken", und es müsste
gut sein. Das technische Arbeiten ist grundsätzlich
formenfeindlich; abgesehen davon, dass wir mit
jedem Arbeiten auch ein sinnliches Interesse haben,
womit wir uns bei jedem Arbeiten — also auch
bei dem Herstellen einer Maschine — um die
Schönheit bemühen, abgesehen davon hat die Ma-
schine oder überhaupt die Technik mit der Schön-
heit nichts zu thun; die eigentliche Schönheit der
Technik ist keine Thatsache, ist nicht zu empfinden,
sondern ist geistig, liegt vor allen Dingen in den
wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Notwendig-
keiten; so müssen wir möglichst weitgehend ein-
seitig etwa Techniker oder Mathematiker oder

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