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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 15.1917

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Heft 5
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Bartning, Otto: Säule und Pfeiler
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https://doi.org/10.11588/diglit.4744#0253

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K. FB. SCHINKEL, NEUE WACHE

GRUNDRISS. ABB. 2

SÄULE UND PFEILER

VON

OTTO BARTNING

Die Säule ist der reinste Ausdruck für die
tragende Funktion eines Baugliedes im Wech-
selspiel von Kraft und Last."

Dieser Satz ist so allgemein anerkannt, dass sein
Inhalt heute nicht mehr neu gedacht, sondern meist
nur noch als Gemeinplatz nachgesprochen wird.
Ebenso ist in unseren so säulenreichen Tagen die
Säule selbst zum Gemeinplatz, ist statt des höchsten
architektonischen Ausdruckes eine gedanken- und
gefühllose Trivialität geworden. Und es sind ge-
wiss nicht die schlechtesten unter unseren Archi-
tekten, die, um diesen Gemeinplatz zu meiden, zu-
gleich die Säule ganz verpönen.

Dennoch wird kein Architekt zur vollen Reife
gelangt sein, ehe er sich nicht im positiven Sinne
mit der Säule auseinandergesetzt hat. Denn sie ist
einmal da und ist thatsächlich der vollkommenste
Ausdruck der tragenden Funktion. Drum sei es auch

erlaubt, diesem allgemein zugegebenen Satze noch-
mals ein paar Worte zu widmen.

Es ist kaum notwendig, die Säule ganz neu zu
erfinden, damit sie modern werde, etwa sie unten
spitz und oben breit, oder über jedes elastische Maass
hinaus geschwellt zu formen, wie temperamentvolle
Baumeister vor zehn bis fünfzehn Jahren mit mehr
oder minder Grazie es anstrebten. Wenn man den
lebendigen Sinn der Säule erfasst, durch positive
Auseinandersetzung sich erkämpft, und sie nur in
diesem Sinne anwendet, wird sie in jedem Falle
architektonisch notwendig, mithin lebendig, mithin
neu und modern sein. Denn je lebendiger sie an
ihrer Stelle steht, desto selbstverständlicher wird sie
dann auch neue Entwicklungen der Einzelform aus
sich hervortreiben, die nicht der gewaltsam gewollte
Zweck, sondern die natürliche Frucht lebendiger
Architektur sind und sein sollen. Was aber der

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