Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 16.1918

DOI Heft:
Heft 11
DOI Artikel:
Hohenemser, Ernst: Aphorismen über Kunst
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4745#0444

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Es giebt kein feineres Sieb als die Zeit.

Es ist kein Streit unsinniger, als mit einem
Künstler um sein Werk. Man könnte ebensogut
sagen: Werde zunicht, und sei wie ich.

Die wenigsten Menschen sind fähig ein Wesen
oder ein Ding zu dulden, das keinem Zweck dient.
Sie sind für die Kunst ewig verloren.

*

Dilettanten ertragen den Tadel leicht, Künstler
schwer. Beim Dilettanten trifft der Tadel das
Werk, beim Künstler verwundet er das innerste
Wesen.

*

Wer die Dinge als erster so sieht, wie sie später
alle sehen lernen, ist ein Künstler; wer sie als einziger
so sieht, wie sonst keiner, ist ein Wahnsinniger.
Daher gleichen unverstandene Künstler den Wahn-
sinnigen.

Eine rechte Künstlerphantasie arbeitet im Schlafen
und im Wachen. Ununterbrochen.

«■

Es ist ein gewaltiger Unterschied ob sich ein
disziplinierter Mensch gehen Jässt oder ein undis-
ziplinierter. Wer dem Gesetz einmal Untertan war
und sich dadurch emanzipiert, dass er auf natürliche
Weise darüber hinauswächst, giebt sozusagen dem
Allgemeinen nur ein individuelles Gepräge, weil
das Gesetz in ihm als aufgehobenes Moment wirk-
sam ist. Er ist nicht notwendig ohne Grazie wie
der undisziplinierte Barbar.

So offenbaren sich im Altersstil ganz grosser
Künstler die Kunstgesetze in einer sublimierten und
nur für sie gültigen Form. Aber wir fühlen den
Zusammenhang mit dem Allgemeinen, dem Be-
kannten, heraus. Dagegen verletzt das „fürchterliche
Erdreusten" jugendlicher Originale und bleibt uns
fremd, weil ein Zusammenhang weder mit eigenem
noch fremdem Gesetz zu spüren ist, und weil ein
Chaos nur als Kontrast zu einem Kosmos erfreulich
wirken kann.

Der Handwerker macht den Weg um des
Zweckes willen, der Dilettant um der Nebenzwecke
willen: aber den Künstler freut die Mühe des
Weges.

Im Künstler ist der Dilettant und der Hand-
werker zu einer höheren Synthesis vereinigt.

Zwischen Kunst und Handwerk läuft eine feine
Grenzlinie: Leiden der Seele.

Eine Kunst, die im Begriffe malt, meisselt, baut
oder gar komponiert, ist wahrlich einer Philosophie
würdig, die Anschauungen oder Gefühle denkt.

*

Wenn ein Künstler von allen anerkannt wird,
heisst das, dass er von allen verstanden wird?

Alle gute Malerei hat einen schon aus der Ent-
fernung wahrnehmbaren Gesamtton. Es lohnt nicht
der Mühe sich vor Bildern aufzuhalten, denen dieser
Gesamtton fehlt. Das einheitliche Licht muss im
Kopf des Malers sein, dann ist es einerlei, ob er
sich ins Freie oder ins Atelier stellt.

•SS-
Einer eleganten Frau, die sich stundenlang vor
dem Spiegel müht um eine Farbennüance auszu-
probieren, traue ich mehr Kunstgefühl zu, als den
Weibern, die mit schmutzigen Händen und fliegenden
Haaren, auf hohen Leitern sitzend, mittelmässige
Kopien nach herrlichen Originalen anfertigen.

Was im Leben Charakter, das ist in der Kunst
Stil: dass man wisse was man will, und die Kraft
habe es zu erreichen und auszudrücken. Bewusst
oder unbewusst. Der Dämon leitet.

Es kann doch unmöglich weit her sein mit der
Cultur, solange man immer nur von Zimmer-
einrichtungen spricht.

*

Sie reden von Cultur und haben nicht einmal
Würde . . .

43*
 
Annotationen