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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 16.1918

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Heft 11
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Beenken, Hermann: Das graphische Werk des Herkules Segers
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https://doi.org/10.11588/diglit.4745#0446

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HERKULES SEGERS, DIE KLEINEN SCHIFFE

AMSTERDAM

welchem neben die meist schon bekannten Ra-
dierungen auch noch ein Teil der wenigen Gemälde,
die wir von Segers besitzen, gestellt wurde. In-
zwischen, i p i o/i 2, ist durch die Graphische Gesell-
schaft die durch die Bemühungen des verstorbenen
Jaro Springer zustande gekommene Publikation der
Radierungen des Meisters (Verlag Bruno Cassirer)
erfolgt, sodass ein Uberblick über das Werk dieser
merkwürdigen Künstlerpersönlichkeit möglich ist.

Mehr als bei den übrigen Holländern ruht die
Bedeutung des Segers auf seinem graphischen Werk,
das fast ausschliesslich aus Landschaftsradierungen
besteht. Hier erst tritt uns die persönliche Eigen-
art des Meisters ganz frei entgegen, hier erst offen-
bart sich das Einzige seiner Kunst in seiner ganzen
Glorie, und in diesen unmittelbarsten künstlerischen
Äusserungen liegen die Wurzeln seines Wesens am
offensten.

Mit Segers setzt ein neues Gefühl für Grösse
und Weite von Landschaft in der Kunstgeschichte
ein. Die alte Landschaft war meist intim, freund-
lich und im Grunde nicht sehr aufregend gewesen.
Gegenden, in denen man allerlei sieht, in denen
spazieren zu gehen sehr vergnüglich sein muss, wa-
ren gegeben. Alle Dinge waren dem Menschen
nahe gerückt, indem sie in endlicher Proportion
zu menschlichen Grössen standen, indem nichts zu
gross und nichts zu klein war. Welch ein anderes
Ethos in den meisten Blättern von Segers! Da ist
alles Hinweis auf das Unendliche, im Verhältnis
zu dem jeder Mensch sich klein fühlen muss, da

sind Grössen gegeben, die dem Menschen keine
fassbaren und messbaren mehr sind. Aus diesen
Bildern streckt sich uns keine freundliche Hand
mehr entgegen, um uns einen Weg zu führen, von
dem aus gesehen, alle Dinge sich menschlich nahe
ausnehmen. Der Blick soll möglichst viel Raum
auf einmal fassen. Das Gesichtsfeld ist ein un-
gewöhnlich weites. Der Augenpunkt wird gerne
sehr hoch genommen. Ein eigentlicher Vordergrund
fehlt häufig, und wo er da ist, ist er so gegeben,
dass man zu den Dingen kein allzu vertrauliches
Verhältnis gewinnen soll. Nichts rundet sich uns
plastisch entgegen, keine breiten, den ganzen Bild-
vordergrund einnehmenden Wege leiten den Blick
in die Tiefe. Selbst bei de Momper und den Vlamen,
von denen Segers als Schüler des Gilles van
Coninxloo ausgeht, ist die Landschaft noch Gefäss
des Menschen. Bei dem Holländer aber ist alles ab-
weisend und ohne Zentrum. Die Darstellungen
sind nicht irgendwie zugespitzt, die Blickbahnen
konzentrieren sich nicht auf bestimmte Stellen des
Bildes. Dafür aber liebt der Künstler pikante un-
erwartete Überschneidungen des Bildraumes, etwa
durch überhängende Zweige oder schräg durch
die Bildecken hindurchragende Baumstämme im
Vordergrund.

Segers hat, ganz Kind des niederdeutschen Bo-
dens, die heimische Ebene in Perspektiven gestaltet,
in denen sie keiner vor ihm gesehen hat. Es ist,
als habe von den Früheren niemand die gewaltige
Ausdrucksmacht, die in der Weite des Flachlandes

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