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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 17.1919

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Heft 7
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Chronik
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LOUIS TUAILL ONf

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Als Sechsunddreissigjähriger wurde Louis Tuaillon,
von dem man bisher auch in seiner Vaterstadt Berlin
wenig wusste, eines Tages plötzlich berühmt: er hatte
seine „Amazone" ausgestellt und siegte mit ihr auf der
ganzen Linie. Das Kapitel Begas war mit einem Schlage
abgeschlossen, innerlich wenigstens, wenn es auchäusser-
lich noch ein wenig weiter vegetierte und die Akademie
beherrschte. Tuaillon trat in die Sezession ein; die
Verhältnisse waren damals so, dass auch das Schaffen
der Künstler, die Tradition hinter sich hatten und die
eineTradition fortsetzten oder vielmehr eine verschüttete
Tradition wieder belebten, nur in der Sezession Platz
fanden. Die akademischen Ehren und Weihen kamen
erst später. Dass die Nationalgalerie die „Amazone"
sofort ankaufte, bedeutete einen viel grösseren Erfolg.
Tuaillons Platz in der Kunstgeschichte ist neben
Adolf Hildebrand. Mit ihm zusammen gewann er in
Rom, im Freundeskreise von Marees, Klarheit über
seine wahren Ziele und über die wirklichen Aufgaben
der Bildhauerei, über sie hatte ihn seine Berliner Lehr-
zeit und das Arbeiten in Begas' Meisteratelier unmöglich
aufklären können. Im Umgange mit Hans von Marees,
dessen Lehre ja viel mehr auf Plastiker als auf Maler
zu wirken berufen war, sah er, worauf es ankam in
der Plastik: klare Form und gesetzmässiger Aufbau des
Organischen. Die Natur so ansehen, wie die Griechen
sie angesehen hatten, die eigene Empfindung vor ihr
zu einfacher und klarer Formanschauung zu zügeln und
zu steigern, das konnte niemand mehr, und dieses
Geheimnis der inneren Monumentalität ging Hildebrand
und den Seinen in Rom, in der Nähe der Antike und,
vor den entstehenden Werken des Hans von Marees
auf. Zugleich die Erkenntnis über die Grenzen von
Malerei und Plastik, die seit zwei, drei Generationen
nicht mehr respektiert wurden und über die Adolf
von Hildebrand sein Buch, „das Problem der Form",
schrieb. Aber während die vielen, die Hildebrand in
heilsame Zucht nahm, nie über die Lehre hinauskamen
und schliesslich einen neuen, wenn auch durchaus ge-
sunden und haltungsvollen Klassizismus heraufführten,
rettete Tuaillon seine Persönlichkeit. Von starker sinn-
licher Begabung und leidenschaftlichem Wirklichkeits-
verlangen, schuf er innerhalb des Gesetzes eine neue
schöpferische Lebendigkeit und gesteigertes Leben.
Seine Sachen haben mehr Natur als die Arbeiten der
Schule, ja manchmal sogar mehr Natur als die des
Lehrers; dem steht die Doktrin doch manchmal ein
wenig hindernd im Wege. Es giebt wenige plastische
Gruppen wie die des „Rosselenkers" von Tuaillon, wo
neben dem klaren Aufbau und dem edlen Rhythmus
soviel lebendig gemeisterte Modellierung Platz hat.

Und ein Denkmal von so persönlicher Gesamtstimmung,
wie der„KaiserFriedrichIII. inBremen" ist in modernen
Tagen niemand gelungen. Hildebrands Bismarck ist im
wesentlichen gross durch den Gedanken, Tuaillons
Friedrich durch die realisierte Anschauung, die bis ins
Letzte mit dem gleichen plastischen Gefühl durch-
empfunden wurde. Tuaillon wusste Hildebrands archi-
tektonisch sichern Griff, in dem ihn keiner übertrifft,
plastisch zu bereichern und zu verschönern. Er hatte es
leichter, weil er, nachdem die Lehre einmal existierte,
wieder naiver und wieder sinnlicher sein durfte. Wir
wissen ja nicht, wie Polyklets „Speerträger", die kano-
nische Figur der klassisch griechischen Zeit, im Original
ausgesehen hat, wir haben ja nur Kopien. Aber aus Poly-
klets Schule besitzen wir das hinreissende Broncewerk des
„Idolino" in Florenz, von einem unbekannten Meister.
Vielleicht war dieser Meister der Tuaillon seiner Tage.

Es zeugt für die Gesundung der öffentlichen Kunst-
pflege in Deutschland im zwanzigsten Jahrhundert, dass,
nachdem der Bremer Privatman Franz Schütte mit dem
Auftrag des Kaiser-Friedrich-Denkmals vorangegangen
war,nachdemerseinerStadtden„Rosselenker"geschenkt
und nachdem Eduard Arnhold in Berlin sich den „Sieger"
und Johannes Guthmann in Neu-Cladow sich den
„Herakles mit dem Stier" gesichert hatten, auchoffizielle
Denkmalsaufträge an Tuaillon kamen. Mag man die
Kaiserdenkmäler auf der Kölner Rheinbrücke auch ein
wenig allgemein finden, als Denkmalsniveau stehen sie
doch auf einer Höhe, die man vor zwanzigjahren noch für
unmöglich gehalten hätte. Der „Friedrich Wilhelm III."
für Merseburg und der „Kaiser Wilhelm I." für Lübeck,
die nun wohl beide Modell bleiben müssen, versprachen
wieder eine neue lebendige Vertiefung der plastischen
Probleme. Wie es denn überhaupt in den letzten
Jahren schien, als wolle sich Tuaillons Temperament,
das sinnlich-anschauliche Temperament, nun mit neuer
Frische äussern. Auf die Dinge, die er in der Herakles-
gruppe und den „kämpfenden Hengsten" geäussert
hatte, wäre er noch zurückgekommen. Vor dem
Siebenundfünfzigjährigen lagen noch grosse Möglich-
keiten.

Was er als Leiter eines Meisterateliers an der
Akademie zu lehren hatte, ist bei seinen Schülern in
guten Händen. Wenn auch die schöpferische Jugend
heute, Kolbe und Lehmbruck etwa, andre Wege gehen
muss, als er: die handwerkliche Tradition, die er ver-
körperte und die der Schadowschen Tradition vergleich-
bar sein mag, mit ihrem gründlichen Verständnis der
Form und ihrem Sinn für strenge Sauberkeit des Hand-
werks, wird jeder beginnenden Jugend in ihren Lehr-
jahren förderlich sein. E. Waldmann

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