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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 19.1921

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Heft 7
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Bode, Wilhelm: Eine unbekannte Madonnenstatue Donatellos
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https://doi.org/10.11588/diglit.4746#0250

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EINE UNBEKANNTE MADONNENSTATUE DONATELLOS

VON

W. v. BODE

Auf dem Wege nach Amerika — wie die Vögel
vom Norden nach dem Süden, so nehmen
jetzt die Kunstwerke vom Osten nach dem Westen
ihren Flug! werden sie, wie die Vögel, auch ein-
mal wieder zurückfliegen? —, sah ich auf einer
Station vor New York kürzlich eine fast lebens-
große Madonnenstatue, die der Besitzer kühnlich
auf Donatello taufte. Er tat dies mit gutem Recht;
die Tonstatue mit ihrer guten alten Bemalung ist
sogar ein Meisterwerk des Künstlers aus seiner
mittleren Zeit, kurz vor oder bald nach der Über-
siedlung nach Padua.

Wir besitzen von Donatello, abgesehen von der
kleinen Marmorstatuette aus seiner frühesten Zeit
im Berliner Museum, nur eine Freifigur der Maria
mit dem Kinde, die etwa lebensgroße Bronzestatue
in Sant Antonio zu Padua. Jene zeigt noch den
Stil des späten Trecento in besonders ausgeprägter
Weise; fast ebenso gebunden in straffer Haltung,
stummem Ausdruck und motivlosen Falten ist auch
die Bronzestatue im Santo, obgleich sie mehr als
ein Menschenalter später entstand. War dort noch
die Abhängigkeit des damals erst allmählich die
Eierschale der Erziehung als einfacher Steinmetz
abstoßenden Jünglings von seiner Lehrwerkstatt
der Grund jener Gebundenheit, so lag hier die
Veranlassung dazu offenbar in der Absicht der
Kirchenbehörde, im Mittelpunkte des Hochaltars
ein streng gehaltenes Kultbild zu besitzen. Das
zeigt die straffe Haltung der Maria und die Art,
wie sie von ihrem Thron sich erhebend im Stuhl
selbst zu stehen scheint, flankiert und eingeengt
von zwei Sphinxen, die mit ihren Leibern, Flü-
geln und Beinen den Thronsessel bilden. Das ver-
rät auch die Art, wie die Mutter das kleine hilf-
lose nackte Kind gerade vor sich hält.

Von dieser strengen, altertümlichen Auffassung
ist in der bemalten Tonstatue nichts zu bemerken.
Sie ist geradezu genrehaft, in höherem Maße noch
als in verschiedenen ziemlich gleichzeitigen Ma-
donnenreliefs Donatellos. Die junge Mutter hat
das nackte Kind eben ergriffen und zieht es mit
beiden Händen an sich. Die Bewegung ist eine
ganz momentane; die Anstrengung, mit der sie das
stramme Kind an sich nimmt, um es auf den

linken Arm zu setzen, spricht sich in ihrer gan-
zen Haltung, spricht sich namentlich in der hoch-
gezogenen linken Schulter aus. Der Moment ist
mit einer Frische ergriffen, mit einer Lebendigkeit
wiedergegeben und drückt das Verhältnis von Mutter
und Kind mit einer Herzlichkeit aus, wie nur Dona-
tello dazu imstande war. Marias Blick ruht stolz
und freudig auf dem Knaben, der sich ganz der
Sorge der Mutter überläßt, indem er das rechte
Ärmchen über den Arm der Mutter lasch herab-
hängen läßt und den Daumen der Linken im
Munde hält. Prächtig modelliert, von erstaunlich
wahrer Wirkung sind der Körper des Kindes, Hände
und Gesicht der Maria. Die Hände haben die
schöne große Form, die gewählte Haltung der
schlanken und doch in ihrer Gelenkbildung stark
betonten Finger. Von großer Wucht sind die tiefen
Falten des dicken Mantels, die in ihrem Aufstoß
auf den Boden deutlich die rasche Bewegung, die
vorherging, verraten. Die vollen, welligen, von
einem breiten Stirnband zusammengehaltenen Haare
sind halb von einem weißen Kopftuch bedeckt und
fallen offen nach hinten. Der rote, am Halse zu-
sammengenestelte Mantel läßt am Oberkörper das
blaue Kleid frei, das unten am Ärmel eine be-
scheiden angebrachte Palmettenverzierung zeigt.
Sonst ist das reiche Kostüm ohne jeden Schmuck
und wirkt gerade dadurch und durch die kräftige
alte Bemalung besonders groß und wuchtig.

In Reliefs, wie im Bronzerelief der Madonna
im Louvre und in dem durch verschiedene Nachbil-
dungen in Stuck und Papiermasse bekannten Relief
der Maria, die das Kind an sich preßt, hat diese
Statue ihre nächsten Verwandten nach Typen, Mo-
dellierung und Gewandung, soweit ein Relief mit
einer Freifigur übereinstimmen kann; aber die Auf-
fassung ist noch genrehafter, noch stärker rein
menschlich. Für den Altar einer Kirche war die
Gruppe daher wohl kaum bestimmt; um so mehr
eignete sie sich für die Kapelle eines Privacpalastes,
wo neben ihr, ebenso genrehaft aufgefaßt, herzige
Büsten des Christusknaben und seines Gespielen,
des jungen Johannes, standen, in denen Desiderio
und andere Nachfolger Donatellos Knaben aus der
Familie der Besteller wiedergaben.

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