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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 19.1921

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Heft 11
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NEUE BUCHER

Emil Waldmann, Der Sammler. Berlin, Bruno
Cassirer, 1920.

Wenn anders der Satz Gültigkeit hat: „Tous les genres
sont permis hors le genre ennuyeux", bedarf das Waldmann-
sehe Buch — eine Sammlung bereits erschienener Aufsätze
— gewiß nicht der Rechtfertigung, die der Autor ihm geben
zu müssen meint: es ist kurzweilig im besten Sinne des
Wortes.

Von verschiedenen Seiten her wird das Stück Welt ein-
gekreist, in dem der Sammler und seinesgleichen zuhaus
sind, die Atmosphäre dieser Schicht ist unfehlbar getroffen,
man glaubt, eine Gesellschaft von Sammlern und Museums-
leuten, von Händlern und Restauratoren unter sich plaudern'
zu hören, es fallen die gewohnten Stichworte: Auktion,
Okkasion, Fälschung, Neuerwerbung, Ausgrabung, Paris,
Amerika. Freilich ist es eine Gesellschaft von hohem Ni-
veau und bemerkenswerter Orientiertheit, in die Waldmann
uns einführt; der weltfremde Forscher vom alten Schlag
kann hier ebensowenig mitreden wie der neuartige kunst-
fremde Programmtheoretiker.

Dafür ist — nicht ohne Absicht — auf vieles Verzicht
geleistet, was sich dem Thema hätte abgewinnen lassen.
Zunächst auf die historische Entwicklung des Sammclwesens:
wie sich der Sammeltrieb der Naturvölker verfeinert bis
zur hohen Stufe des ersten großen Sammlervolkes, der
Römer. Wie die italienischen Großen, die burgundischen
Fürsten, die spanischen Könige, die französischen und eng-
lischen Bankiers sammelten. Wie die „Kunst- und Wunder-
kammern", bestimmt, dem Vergnügen eines Einzelnen zu
dienen, Urzellen der öffentlichen Sammlungen wurden, wie
sich das Verhältnis zwischen Privatsammler und Museum
durch den Lauf der Jahrhunderte gestaltete.

Es fehlen die scharfen Sammlerprofile, die man gern von
Waldmanns kundiger Hand umrissen gesehen hätte: der große
alte Lorenzo Medici, Isabella d'Este, die Porträtspezialisten
Paolo Giovio und Ferdinand von Tirol, der Miniaturen-
enthusiast Jean de Berry, Margarete von Österreich, deren
leinen, ein wenig manierierten Geschmack ihr Inventar be-
wahrt, Maximilian I., mehr Besteller und Anreger, als reiner
Sammler, Philipp IL, als Kunstfreund durch Karl Justi un-
sterblich gemacht, Rudolf II. mit seiner glücklichen Bruegel-
vorliebe, die großen Künstler-Sammler Ghiberti, Rubens, Rem-
brandt, Goethe. Dann die Sammler, deren Wirken für die
heutige Gestalt der deutschen Museen unmittelbar bestim-
mend wurde: die Brüder Boisseree — der Propagandist
Sulpiz und der schwärmerisch geschäftstüchtige Einkäufer
Melchior —, der mehr zusammenraffende als sichtende Ka-
nonikus Wallraf, der phantastische Hochstapler Baron Hüpsch,
der nüchterne Geschäftsmann Solly. Es hätte darauf hin-
gewiesen werden können, wie sich aus fast jeder wirklichen
Sammlung ein bestimmter Sammlergeschmack herausdestil-
lieren läßt, wie ein Boissereebild, ein Sollybild innerhalb
der Bestände der Alten Pinakothek, des Kaiser Friedrich-
Museums, noch heute kenntlich bleibt.

Die Wechselwirkung zwischen dem Sammeln alter Kunst
und der jeweils herrschenden lebenden Kunst hätte eine

Untersuchung verlohnt: wie die Mode des Japansammelns
zur Zeit der Goncourts mit dem Japonisieren eines Toulouse-
Lautrec, eines Degas zusammengeht, wie die italienische
Quattrocentomode in England die Präraffaeliten befruchtete,
wie die neueste Kunstentwicklung in Deutschland das Sam-
meln der Primitiven fördert, wie vor allem die neue Blüte
des Holzschnitts die Anfänge dieser Kunst zu begehrens-
werten Sammelobjekten macht.

Waldmanns Buch ist keine Grabrede: der Sammler ist
nicht ausgestorben, er lebt weiter in all seinen Erscheinungs-
formen. Es entspricht glücklich den Tatsachen, daß Wald-
mann die Unterschiede zwischen dem gepriesenen alten
Sammlerenthusiasten und dem vielgeschmähten neuartigen
,,Valuta"sammler nicht zu tragisch nimmt: gute Kunst schafft
sich selbst immer wieder echte Amateure, wer mit erlesenen
Kunstwerken zusammenlebt, erliegt am Ende ihrer wer-
benden Kraft, und gerade der Kunstungewohnte verliebt sicli
oft heftiger in seine Schätze als der kühl wägende Sammler-
ästhet. Erfreulich ist es auch, daß Waldmann mit der ver-
brauchten Witzblattschablone des „sammelnden Amerikaners"
aufräumt und einem weiteren Kreis einen Begriff von der
bewundernswert planvollen, zähen und bedachten Art des
großen amerikanischen Sammelwesens zu geben sich be-
müht.

Das abschließende Werk über den Sammler gibt Wald-
mann nicht und will es nicht geben, doch fügt sich sein
Buch den mehr historisch gerichteten Einzeldarstellungen
eines Jakob Burckhardt, Schlosser, Flörke als lebendig um-
fassende Ergänzung glücklich an. Gret-' Ring.

K. Zoege von Manteuffel. Hans Holbein, der
Zeichner für Holzschnitt und Kunstgewerbe.

Ders., Hans Holbein, der Maler. Hugo Schmidt
Verlag, München.

Holbein ist für den Kunstschriftsteller ein undankbarer
Gegenstand: er ist verzweifelt unproblematisch. Jedes ein-
zelne Werk, jede Zeichnung steht in unbegreiflicher Voll-
endung und in so vollkommener Schaubarkeit vor uns, daß
alle erläuternden Anmerkungen, sofern sie sich nicht auf
das Äußerlichste beziehen, überflüssig bleiben. Geist und
Sinnlichkeit sind bei Holbein im Tiefsten miteinander ver-
schmolzen: in dem unfehlbaren Zug seines Stiftes, in dem
juwelenhaften Emaille seiner Farbe sowie vor allem in seiner
unerklärbaren Porträtauffassung, vor der man stets im Zweifel
bleibt, ob sie aus der reinsten Schlichtheit und Naivität des
Auges oder aus einem orakelhaften Tiefsinn entspringt.
Wollen und Vollbringen fällt bei ihm zu so untrennbarer
Einheit zusammen, daß keine Ausdeutung sich dazwischen
zu drängen vermöchte und will man ihn einem andern näher-
bringen, so bleibt nichts zu tun, als ihn immer wieder auf
jenes selbstvergessene, hingebende Schauen zu verweisen,
bei dem der innere Blick sich weitet und — bewußt oder
unbewußt — vom Geist des Künstlers selbst geschaffen wird.

Manteuffel hat sich in den beiden Bändchen über Holbein
diese Grenzen, die seinem Darstellungsstoff gezogen waren,
mit klugem Takt vor Augen gehalten und ist im Wesent-

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