Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 20.1922

DOI Heft:
Heft 3
DOI Artikel:
Schröder, Bruno: Griechische Idealköpfe im Berliner Museum, [1]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4747#0105

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
MÄDCHEN. GRIECHISCH. 6. JAHRHUNDERT VOR CHRISTI

ABB. 2

allmählich in die Laute der griechischen Formen-
sprache übersetzt wird. Sonst hat die junge griechi-
sche Kunst viel von den Ägyptern gelernt, hat es
aber von Anfang an verschmäht, ihren Gestalten
den feierlichen Ernst der ägyptischen Götter und
Menschenbilder zu geben. Ein Volk, das so voll
war von treibendem Leben und geistiger Regsam-
keit, konnte in solcher Starrheit nicht Bilder sei-
ner selbst sehen. Von jeher hat deshalb die grie-
chische Plastik, die in der ägyptischen Kunst nie-
mals überwundene Vorstufe überspringend, das
Antlitz belebt: der Mund lächelt und die Augen
blicken fröhlich in die Welt (Abbildung 2). Man

möchte meinen, es spiegele
sieh darin die Heiterkeit des
einfachen Lebens, das Wohl-
gefühl eines jugendlichen, in
den glücklichsten Umständen
zu Wohlstand und geistigem
Besitz aufsteigenden Volkes.
Die genuß- und liebefrohe
Poesie der Ionier klingt an.
Aber immer und immer wie-
derholt, wirkt auch dies Lä-
cheln nur wie eine allgemeine
Formel und im Grunde ärmer
an Ausdruck als jene heilige
Ruhe der Ägypter. Es wirkt
namentlich widersinnig, wenn
es in Kampfdarstellungen Göt-
tern, Kämpfenden, Sterbenden
und Toten gleichmäßig ge-
geben wird. Und schließlich,
als die archaische Kunst alterte,
ward auch das Lächeln geziert,
altjüngferlich und widerlich.
So muß es auch den Griechen
erschienen sein, als sie in der
Kultur und im Geschmack
vorwärtsschritten und noch
mehr, als das große Erlebnis
der Perserkriege sie ernsthaft
gestimmt hatte. Es war die
Zeit, die für die gedanken-
volle Wucht des Aischylos und
für Pindars schwerstampfende
Siegeslieder empfänglich war.
So erklärt sich der Bruch
mit der bisherigen Gepflogen-
heit, als in der Generation um die Perserkriege
der Ausdruck der Köpfe einen so ganz ande-
ren Charakter annimmt. Das blöde Lächeln ver-
schwindet, die Mundwinkel sinken nach unten,
die Augen blicken ruhig. Fast etwas Mürrisches,
Verdrossenes haben die Männer, etwas Schmollen-
des die Mädchen. Nicht jedem Künstler gelang
es gleich, die neue Form sich anzueignen. So
hat unser Köpfchen von Selinunt (Abbildung 3)
etwas vom Übergang zwischen Lachen und Weinen,
zwischen Regen und Sonnenschein. So hat auch
unsere neue thronende Göttin jenen unbestimmt
schillernden seelischen Ausdruck in ihrem Lächeln,

88
 
Annotationen