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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 22.1924

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Heft 4
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Kunstausstellungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.4654#0091
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gemacht hat, den auch das größere Deutschland einmal kennen
und achten wird. Nägele als Maler ist Miniator; er liebt
das kleinste Format, die helle reine Farbigkeit der Dinge,
das Bild ist ihm dichterische Erfindung, und gerne füllt er
es bis zum Rand mit immer neu ersonnenen bunten Einzel-
zügen. Er liebt das Sonderbare und er hat die Gabe das
zu sehen, was die andern nicht beachten. So hat er wunder-
bare Landschaftstimmungen: die Reinheit der Schneewelt
im Schwarzwald, die stemenflimmernde blaue Nacht über
den unzähligen Lichtern der Stadt im Tal, das drollige
Zappeln erregter Bewegung auf einer Straße, von oben ge-
schaut, nicht bloß gesehen, sondern ganz unvergeßlich zu
Bildern gestaltet. Nicht alle Bilder sind ganzer Wurf, viele
grenzen ans Spielerische, Geburten zufälliger Laune, aber
die meisten sind sinnlich prickelnd, voll Geist, und nie wird
dieser Maler, wie so viele — langweilig. Ganz gewiß ist
er eines: Original.

Die übrigen Maler der Sezession werden von der Gestalt
des einen Altherr beherrscht, zum großen Teil sind oder
waren sie seine Schüler. Die Rolle, die Holzel früher hier
spielte, hat gegenwärtig er übernommen. Nicht wie Holzel
ein Theoretiker der Konstruktion, aber ein fanatisch bohrender
Maler, ein Theoretiker des innern Gesichts. Furchtbar ernste,
gequälte und quälende Gestalten, Gesichte des Leidens,
tauchen aus brauender Atmosphäre, aus unbestimmten
Räumen, versinken wieder darin. Die Farben sind wenig,
zäh, schwerflüssig ringen sie sich auseinander, ein getrübtes
Blau, Grün oder Braun aus ungreifbareren Tönen. Dabei
ein großer Wille, eine echte Ergriffenheit, ein reines Bemühen

um Ausdruck und Form. Die Wirkung auf die Schule ist
stark, aber nicht ohne Gefahr. Wohl zeigen sich neben
Unselbständigen auch junge eigenwillige Begabungen; der
nazarenische Leonhard Schmidt, der mit Figur und Farbe
noch etwas spielende Hengstenberg, Bäuerle, Maler empfun-
dener Einzelgestalt, oder, schon etwas kunstgewerblich ge-
schickt, Sohn, oder mit einem monumentalen Selbstbildnis
Teil Geck. Aber sie alle, wie auch Gräser, Föll, Ehmann
und andre, lassen gar sehr die unmittelbar empfundene
Freude und Kraft der Farbe vermissen. Es ist als erschiene
diesen hier die leuchtende Fülle der erscheinenden Welt
nur wie eine Akzidens, ja wie eine Verführung, die vom
Wesentlichen abzöge. Hat man von Altherr nicht ganz
grundlos gemeint, seine Malerei sei mehr eine übertragene
Graphik, so würde das auf diese ganze Schule, ja schier
auf die ganze Stuttgarter Sezession zutreffen. Es hat sowieso
den Anschein, als wäre den schwäbischen Malern die frische
Sinnlichkeit der Farbe weniger als andern Stämmen gegeben,
als strebten Gedanke und Gefühl hier sowieso gern zu allzu
rascher Abstraktion. Umso dringender notwendig erscheint
mir die Warnung vor solcher Gefahr, umso unentbehrlicher
das Vorbild einer farbig frischen und blutvollen Gestaltung.
Nur durch starke Beispiele kann es gelingen, all diese
strebsamen und Ernstes wollenden Künstler vor einer Ein-
seitigkeit zu bewahren, die ihnen allen Verhängnis werden
kann. Die Akademie, die einer Verjüngung dringend bedarf,
hat, leider vergeblich, Caspar hieher berufen. Ihre Aufgabe
ist es, Meister zu suchen, die als Schaffende wie als Lehrer
bringen, was uns am dringendsten gegenwärtig Bedürfnis ist.

MAX PECHSTEIN, BILDNISKOPF. AQUARELL

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