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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 22.1924

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Heft 6
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Schulz, Richard L. F.: Die staatliche Porzellanmanufaktur Berlin: oder Der Stier im Porzellanladen
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https://doi.org/10.11588/diglit.4654#0166

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DIE STAATLICHE P O R Z E L L AN M AN U F AKTU R BERLIN

ODER

DER STIER IM PORZELLANLADEN

VON

RICHARD L. F. SCHULZ

Von verschiedenen Seiten werde ich im Interesse preußi-
scher Staatsbürger aufgefordert, zu diesem Thema Stel-
lung zu nehmen. Ich bin nicht Schriftsteller, aber ich
kenne den Stoff aus eigener Anschauung und jahrelanger
Zusammenarbeit mit der Manufaktur; darum glaube ich
befähigt zu sein, über Zustände in der Manufaktur zu
sprechen, für die die öffentliche Meinung schon längst
Interesse hätte zeigen müssen. Was geht in der Manu-
faktur vor?

Nachdem lange Zeit nur Gerüchte umliefen, hat die der
Manufaktur vorgesetzte Behörde den Schriftsteller Lothar
Brieger instruiert und durch ihn einen Versuchsballon in Ge-
stalt eines Artikels in der Vossischen Zeitung am 24. Januar
aufsteigen lassen: „Die Manufaktur soll in eine Aktienge-
sellschaft umgewandelt werden, deren Aktien selbstverständ-
lich imjBesitz des Staates bleiben sollen".

Auf diesen Gedanken ist das Handelsministerium, dem
die Manufaktur leider untersteht, aus mir sehr erklärlichen
Gründen gekommen. Vor einiger Zeit sind Versuche des Gehei-
men Kommerzienrats Dr. h. c. Philipp Rosenthal, sich in Besitz
der Manufaktur zu setzen, abgeschlagen worden. Ob Herrn
Rosenthal dazu sein eigener Scharfblick über die in der Manu-
faktur herrschenden korrumpierten Zustände oder die Rat-
losigkeit des Handelsministerirms veranlaßt haben, mag dahin
gestellt bleiben. Rosenthals Absicht hat sich jedenfalls so
ausgewirkt, daß ein abgelegter Direktor aus den Rosenthal-
schen Betrieben jetzt der Mann des Handelsministeriums
ist, der den Wandel in der Manufaktur vollziehen soll.

Rosenthalsche Erfolge und Ziele sind es, das geht auch
aus dem Briegerschen Artikel hervor, die für unsere Manu-
faktur vorbildlich werden sollen. Es ist nötig, daß man sich
mit diesen Erfolgen der Manufaktur Rosenthal etwas näher
beschäftigt.

An der Ecke der Linne1- und Bellevuestraße hat sie einen
Laden, in dem Erzeugnisse ihrer verschiedenen bayrischen
Fabriken Porzellanorgien feiern. In jeder größeren Stadt
Deutschlands befindet sich entweder eine eigene Filiale
oder eine Firma der Porzellanbranche, die Rosenthal-Por-
zellan im großen Maßstabe führen muß. Die größte Sehens-
würdigkeit Baden-Badens ist der Rosenthalsche Porzellan-
pavillon. Mündliche und schriftliche Reklame sorgt dafür,
daß es das höchst erstrebenswerteste Ziel deutscher Heim-
kultur ist, eine Vitrine mit Rosenthal-Porzellan zu besitzen.
Auf der Leipziger Messe verkündet Rosenthal im öffent-
lichen Vortrag: „Die deutsche keramische Industrie müsse
durch Anpassung an den Geschmack des überseeischen
Publikums ihre Abnehmerschaft weitern, ihre Rentabilität
steigern".

Selbstverständlich ist es das gute Recht dieser Firma, ihre
Erzeugnisse mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln
auf den Markt zu bringen. Wenn man aber dieselben Allüren
mit dem neuen Direktor, den man bei Nacht und Nebel

eingesetzt hat, in die Manufaktur einführen will, sollte man
doch mehr Achtung vor den Gefühlen haben, die dem
Staatsbürger bei einem solchen Vorgehen kommen.

Man braucht den früheren Direktoren keine Träne nach-
zuweinen. Sie haben nur aus Unfähigkeit schlecht ge-
wirtschaftet; jetzt aber scheint System in die Sache zu
kommen. Das Ziel scheint zu sein, die Manufaktur in
Grund und Boden zu wirtschaften, um sie dann für einen
in naher Perspektive liegenden Zweck reif zu machen. Da
ist zum Beispiel als erstes Dokument des Verfalls der schöne
Laden in der Leipziger Straße zu nennen. Der Vorgänger
des jetzigen Direktors hat die sechs Schaufenster in seiner
Verständnislosigkeit einem Architekten zur besseren Aus-
gestaltung überliefert. Dabei ist er einem jener Architekten
in die Hände gefallen, die sich nie in den Dienst einer
Sache stellen können, sondern deren Leistungen gesehen
werden müssen, wenn sie auch noch so schwach sind. Er
hat sechs Kasperletheater geschaffen mit unmotivierten
Holzschnitzereien und neckischen Vitrinchen. Innen hat
man den Keller mit den schönen Weißporzellanen und einen
großen Teil des Parterregeschosses den Ausstellungsräumen
entzogen. Um diesen Fehler zu korrigieren, zieht man Arm
in Arm mit den Staatlichen Manufakturen Meißen und
Nymphenburg in das Antiquitätenhaus Wertheim in der
Bellevuestraße, neben Philipp Rosenthal.

So feiert Wertheim, den alle drei Manufakturen früher
boykottiert hatten, einen wirtschaftlichen Sieg, indem man
ihm riesige Kommissionslager hinlegt. Lange wird diese
Ehe nicht dauern, aber am schlechtesten wird Berlin dabei
fortkommen, denn neben Nymphenburg und Meißen kann
Berlin mit seinen schlechten Leistungen nicht aufkommen.
Der Vergleich aber wird herausgefordert. Es ist mir un-
verständlich, wie man eine so gute Position in einem der
besten Läden Berlins aufgeben und sich einer so gefahr-
vollen Vertretung anvertrauen kann.

Sehen wir uns aber die Erzeugnisse der Manufaktur im
Laden selber an. Da erfreut uns nur sehr weniges; die
Geschmacklosigkeiten überwiegen. Schlechte weiße und
bemalte moderne Plastiken, Porzellantafeln mit nichtssagen-
den Gebirgslandschaften, Unterglasurmalerei ä la Kopen-
hagen, gute alte und schlechte neue Vasenformen mit tech-
nisch gut gemalten, künstlerisch geschmacklosen Dekoren,
elektrische Tischlampen mit häßlichen plunderigen Seiden-
schirmen und miserablen Metallfassungen, wie man sie nur
in den schlechtesten Lagern der Ritterstraße sehen kann.
Porzellanuhrgehäuse mit primitiven Weckeruhren. Jeder
Diener, Beamte oder Kaufmann der Manufaktur macht sich
lustig über die Unfähigkeit ihrer kaufmännischen und künst-
lerischen Direktoren. Man sieht deutlich, daß hier der kluge
urteilsfähige Geist eines starken zielsicheren Willens fehlt,
der noch heute aus der Saat einer glanzvollen Vergangen-
heit mit leichter Mühe die schönsten Früchte ernten könnte.

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