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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 22.1924

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Heft 7
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Utitz, Emil: Neuer Naturalismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.4654#0178

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FRITZ HUF, SCHLAFENDES MÄDCHEN. BRONZE. 1923

MIT ERLAUBNIS DER GALERIE A. FLECHTHEIM, BERLIN

NEUER NATURALISMUS

VON

EMIL UTITZ

Es ist in verschiedenen Lagern und recht aus-
giebig die Rede davon, ein neu erwachter Na-
turalismus habe den „Expressionismus" abgelöst.
Und diese Kunde wird mit erstauntem Kopf-
schütteln als etwas Seltsames und Merkwürdiges
aufgenommen. Um einen Vergleich mit dem wirt-
schaftlichen Leben zu ziehen, so Jconnten doch
nur reichlich naive Gemüter wähnen, der Sozialis-
mus habe in verschiedenen Ländern den Kapitalis-
mus totgeschlagen, und sie sind es, die über-
rascht das kräftige Aufkommen eines neuen Ka-
pitalismus verfolgen. In Wahrheit aber mußte die
kapitalistische Gesinnung um so heftiger und stür-
mischer durchbrechen, je stärkere Hindernisse sie
zu überrennen hatte. Notwendige — wenigstens
zeitnotwendige — Gewalten werden nicht dadurch
erledigt, daß man sie einzuklammern trachtet,
aber man entgiftet sie, indem man ihnen ange-
messene Aufgaben zuweist. Dann brauchen sie
nicht zu verwildern, und vielfach ist — meiner

Meinung nach — der neue Naturalismus auch
eine Verwilderung. Aber wie dem nun auch immer
sei, ganz ohne Ausschaltung der „Natur" geht es in
der Kunst eben nicht; und diese Entdeckung müssen
heute manche „neu" machen. Die Wirklichkeit
aus der Kunst verbannen, heißt: ohne Luft fliegen
zu wollen. Gewiß, die Luft läßt uns nicht die
Schwingen wachsen. Aber ohne Luft hilft das
schönste Flügelschlagen nichts; und die Flügel
müssen sogar bis ins letzte hinein der Luft ange-
paßt sein. Man sah — ganz falsch — den so
genannten Naturalismus zu sehr nur als „Luft"
und bemerkte nicht die wunderbaren Schwingen,
die ihn fähig machten, die Luft zu durchschnei-
den. Oder — ebenso falsch — man blickte nur
auf die Schwingen. Aber bildlos gesprochen: ein
Dostojewski, ein Strindberg sind weder vom Na-
turalismus her zu verstehen, noch von seiner Über-
windung. Wo große Kunst ist, da fehlen die
beiden Seiten nicht: und es gehört zu ihrem Wesen,

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