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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 22.1924

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Heft 7
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Winkler, Friedrich: Die Entstehung des Gemäldes
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https://doi.org/10.11588/diglit.4654#0183

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DIE ENTSTEHUNG DES GEMÄLDES

VON

FRIEDRICH WINKLER

Schon Jakob Burckhardt hat einmal angedeutet,
daß die Wurzeln des Gemäldes in der alt-
niederländischen Kunst verborgen sind. Es ist
nicht schwer zu sagen, warum er den Gedanken
nicht weiter verfolgt hat. Er wuchs in einer Zeit
auf, da die Kartonmalerei eines Peter Cornelius
noch ein lebendiger Faktor in der Kunst war.
Man träumte von großen Wandflächen, die zu
schmücken den Malern vergönnt sein sollte. Für
Burckhardt hatte das Gemälde nicht die umfas-
sende Bedeutung wie für den Menschen der Gegen-
wart, der die Ausbreitung der Herrschaft des Im-
pressionismus in den letzten fünfzig Jahren fast
über die ganze Welt feststellen muß. Wer gesehen
hat, wie einigen der besten Freskomaler des
neunzehnten Jahrhunderts, einem Delacroix, Puvis
deChavannes, Böcklin, unwürdigeTreppenaufgänge,
im Dunkel liegende niedrige Wände des Seiten-
schiffs einer Kirche als höchste monumentale Auf-
gaben zur Verfügung gestellt worden sind, wird
begreifen, daß sich die Künstler der Fläche mehr
und mehr auf die Schaffung von Staffeleibildern
beschränkt haben. Heute repräsentiert das Gemälde
die Kunst der zweidimensionalen Fläche schlecht-
hin. Die Anfänge des Gemäldes aber liegen, wie
Burckhardt andeutete, in der altniederländischen
Malerei.

Der Ausdruck, ursprünglich „gemäl", bezeich-
net in weitestem Sinne ein bewegliches, in seiner
Wirkung von einer bestimmten architektonischen
Umgebung oder von der Mitwirkung plastischer
Bestandteile unabhängiges Werk der Malerei. Vor-
aussetzung für die Entstehung des Gemäldes war
die Entfaltung der Baukunst bis zu einer Stufe,
wo aus einer bloß schützenden Behausung des
Menschen ein Typus oder Stil entstanden war.
Erst in diesem Punkte der Entwicklung gewährte
die Baukunst der Malerei die Möglichkeit, unab-
hängig von Wandlungen in der Baukunst in der
Entfaltung eigener bildnerischer Gesetze Kunst-
werke hervorzubringen, die als einzelne Werke
völlig unabhängig von der Baukunst zu sein

Anmerkung der Redaktion: Dieses ist ein Kapitel
des Buches F. Winklers über die niederländische Malerei,
das in diesen Tagen im Propyläen-Verlag, Berlin, erscheint.

schienen und die als Angehörige einer über Jahr-
hunderte sich ausdehnenden, glänzenden und über-
aus mannigfaltigen Entwicklungsreihe die beherr-
schende Bedeutung der Baukunst für die Kunst-
übung schlechthin sogar verdunkelten, so daß erst
die jüngste Zeit sich auf die Bedingtheit der Geltung
des Gemäldes im Reich der Künste besonnen hat.

Am Beginn der altniederländischen Malerei im
fünfzehnten Jahrhundert nähert sich die großartigste
Epoche der Baukunst nördlich der Alpen ihrem
Ende. Die Blütezeit der gotischen Baukunst war
vorüber. Die Zeit dachte nur an die Vollendung
der gewaltigen Unternehmungen des zwölften bis
vierzehnten Jahrhunderts und an den Glanz, mit
dem sie auszustatten waren. Bildhauerei und Ma-
lerei wurde so eine Förderung zuteil, wie sie sie
bei den abendländischen christlichen Völkern bis-
her noch nicht erlebt hatten, wenn nur der künst-
lerische Gestaltungstrieb in ähnlicher Stärke an-
hielt. Die Museen aller zivilisierten Länder, die
in der Hauptsache mit Werken der folgenden Jahr-
hunderte angefüllt sind, sind Zeugen, daß sich die
Schaffenskraft der Bildhauer und Maler in den
christlichen Ländern noch mannigfaltiger aus-
wirkte als die der Baumeister.

Die Entfaltung von Bildhauerei und Malerei
ist außerdem vor allem durch den Stoff bedingt,
in dem sie gestalten. Der Stoff der Bildhauerei
wechselt in der Regel mit dem Lande, in dem der
Künstler tätig ist. Eine größere Verschiedenartig-
keit der Werke in den verschiedenen Ländern,
sprunghaftere Entwicklung und spärlichere Blüte
als in der Malerei waren in der Neuzeit die Folge.
In der Malerei liegt eine kontinuierliche Entwick-
lung voll nationaler, keineswegs nur einmaliger
Blütezeiten in fast allen Ländern, voll reger Be-
ziehungen zwischen den Künstlern diesseit und
jenseit der Alpen vor. Mit wachsender Ausschließ-
lichkeit spielt sich der Vorgang im Gemälde ab,
das als Staffelei- oder Tafelbild im späteren Mittel-
alter sich ein bescheidenes Plätzchen neben den
anderen Künsten der Fläche wie Wand-, Buch-,
Glasmalerei und Wirkerei erobert hat.

Zu dieser historischen tritt die Bedeutung des
Gemäldes, die es in der modernen Kunst hat.

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