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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 22.1924

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Heft 8
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Kümmel, Otto: Das Erdbeben und der japanische Kunstverlust
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https://doi.org/10.11588/diglit.4654#0241

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DAS ERDBEBEN UND DER J

Ochon die ersten ganz allgemeinen Nachrichten über das
^ furchtbare Erdbeben im September 1923 und seine noch
schlimmere Folge, die gräßliche Brandkatastrophe, ließen
wenigstens das eine hoffen: daß der einzige wirklich un-
ersetzliche Schaden, der Verlust an Kunstwerken, nicht allzu
groß sein könne. Tokio selbst ist eine verhältnismäßig junge
Stadt, und seine Tempel sind unvergleichlich ärmer an
Kunstwerken als die der alten Kulturprovinzen Japans.
Yokohama gar, ein Produkt des neunzehnten Jahrhunderts,
bedeutet kulturell schlechtweg nichts. Nur Kamakura, die
Hauptstadt der Minamoto-Shogune, und in der Ashikaga-
zeit neben Kyoto die Hochburg der Zen-Sekte, hat in einigen
stattlichen Tempeln wenigstens Reste der alten Herrlichkeit
erhalten. Der einzige erhebliche Schaden scheint indessen
der Einsturz des Shariden des Enkakuji zu sein, eines
zierlichen Denkmals der Kamakurazeit (etwa 1280). Von
den beweglichen Kunstwerken, von denen ein großer Teil
in den staatlichen Museen aufbewahrt wird,
ist anscheinend so gut wie nichts zerstört.
Allzuviel hätte selbst ihr Verlust nicht bedeutet.

Um so schwerer wäre jeder Schade ins
Gewicht gefallen, der die großen Privatsamm-
lungen Tokios betroffen hätte. Sie wiegen
in ihrer Gesamtheit wohl den ganzen Privat-
besitz an Kunstwerken im übrigen Japan auf.
Indessen hat ein gütiges Schicksal es gefügt,
daß gerade die Bezirke am wenigsten von
dem Erdbeben und dem Brande betroffen
sind, in denen die modernen Nachfolger der
alten fürstlichen Yashiki und die prunkvollen
Besitzungen der neuen Sammler liegen. We-
der Yotsuya, wo in der gräflichen Familie
Matsudaira von Izumo das künstlerische Erb-
teil des Matsudaira Fumai, vielleicht die
feinste und geschlossenste Sammlung Japans,
bewahrt wird, noch Ushigome mit der Samm-
lung des Grafen Sakai von Wakasa, die
schon durch das T01110 no Dainagen Emaki
des Mitsunaga geheiligt wird, noch Kanda
mit der Sammlung des Vic. Akimoto — wenn
sie heute noch im Besitze der Familie ist —
haben wesentlich gelitten. Auch Akasaka,
wo das Yashiki der Kuroda und das Haus
des bedeutenden Sammlers Nezu liegt, Shiba
(Sammlungen der Hachisuka und der Toku-
gawa des Tayasuzweigs, des Herrn Makoshi),
und Azabu mit der außerordentlichen Samm-
lung der Marquis Inouye gehören zu den
am wenigsten betroffenen Stadtteilen. In
Koishikawa hat leider eine Explosion in dem
chemischen Laboratorium der Universität
auch den Verlust der Universitätsbibliothek
und unersetzlicher Bücherschätze zur Folge
gehabt. Der Hausbesitz der großen Familie
Maeda, deren Teekeramik, Gotö-Arbeiten und
Nö-Schätze in Japan kaum ihresgleichen haben,
und der Tokugawa (Hitotsuyanagi) sind aber

APANISCHE KUNSTVERLUST

unversehrt. Asakusa hat schwer gelitten, aber der köstliche
Chajinbesitz der Grafen Matsüra ist erhalten. Von dem Schick-
sal der Vorstadt Shinagawa im allgemeinen ist mir nichts be-
kannt, die riesenhaften Sammlungen des Barons Iwasaki und
der nicht ganz so umfangreiche, aber sehr gewählte Kunsl-
besitz des Barons Masuda sind zweifellos gerettet. Die größte
Besorgnis mußte das Schicksal der Sammlungen des Herrn
Beppu erregen, der sich der besten Aale und der schönsten
Körius Japans rühmen kann, denn sein Haus liegt mitten in
dem völlig zerstörten Stadtteil Kyöbashi. In der Tat ist
es mit dem gesamten Hausrat verbrannt, seine Kunstschätze
aber sind erhalten. Da auch das Museum in Ueno und das
Ausstellungsgebäude Hyökeikwan ebensowenig gelitten haben
wie die Kunstakademie, deren Kunstschätze in einer schönen
Sonderveröffentlichung der Kokka behandelt sind, scheint
sich der Verlust in Tokio auf ein geringeres Maß beschränkt
zu haben, als der kühnste Optimismus hoffen durfte. Das

CAMILLE COROT, DIE GITARRESPIELERIN

AUSGESTELLT IN DER GALERIE MATTHIESEN, BERLIN

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