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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 23.1925

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Heft 11
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Scheffler, Karl: Lovis Corinth
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https://doi.org/10.11588/diglit.4653#0428

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LOVIS CORINTH MALEND IN EINEM GARTENJN WESTEND
PHOTOGRAPHIERT IM MAI 1925

LOVIS CORINTH f

Seit der schweren Erkrankung vor etwa zehn Jah-
ren hatte Corinth das hippokratische „Gesicht".
Körperlich hat er sich von dem Schlag nie erholt,
und es ist erstaunlich, daß er so lange widerstanden,
so erfolgreich noch geschaffen hat. In diesem äuße-
ren Schicksal, wie auch in der Erscheinung, ist
eine gewisse Ähnlichkeit mit Böcklin festzustellen,
der ebenfalls in der Mitte und auf der Höhe des
Lebens ähnlich erkrankte, und der ebenfalls erst
danach sehr berühmt geworden ist. Böcklin hat
die innere Erschütterung, den Blick ins Grab, in
der Folge gern in gegenständlichen Symbolen des
Denkens dargestellt; in allen seinen Spätbildern
wird irgendwie die Melodie des fiedelnden Todes,
wird das Walten fühlloser Elementarkräfte sichtbar.
Corinth hat die Drohung, die jäh und unheimlich
in sein Leben trat, als es am sinnlichsten und
breitesten dahinfloß, in anderer Weise künstlerisch
verarbeitet: er hat das Symbolische in das Auge
und in den Vortrag verlegt. Daß er aus seinem
Zustand, der seine Bewegungen unsicher machte
und den Pinsel in seiner Hand zittern ließ, eine
Ausdrucksform gewann, ist die große künstle-
rische und sittliche Tat seines letzten Lebens-
viertels. Er hat sich von dem, was ihn im Inner-

sten traf, nicht überwinden lassen, seine sinnliche
Vitalität, die um so mehr hervorgehoben zu
werden verdient, weil sie in der deutschen Kunst
etwas so Seltenes ist, hat sich verwandelt, ist
aber nicht vernichtet worden. Sie ist nach der
Krankheit der großen Verwunderung über das
Leben, über die Erscheinung zugänglich geworden.
Es ist bei ihm ganz instinktiv vor sich gegangen.
Denn so klug dieser Künstler auch war, ein tiefer
Kunstdenker ist er nie gewesen. Immer hat er
nur getan, was er nicht lassen konnte. Die Natur
war mächtig in ihm. Ohne sie wäre er nur ein
guter akademischer Maler geworden. Dahin ging
die Neigung seines Talents. Was ihn emporge-
rissen hat, was seiner Malerei das Blut, die Fülle,
die überschäumende Freudigkeit und die Mannig-
faltigkeit gegeben hat, das ist ein Überfluß an sinn-
licher Lebenskraft, der es gelang, sich in Form zu
verwandeln. Wie stark sie war, ist daraus zu er-
sehen, daß sie dem Leben des Künstlers, trotz des
Abflusses in Kunst und Arbeit gefährlich geworden
ist. Das Malen Corinths war wie ein Schmausen,
Trinken und Lieben; und als die Krankheit dem
allen einen Riegel vorschob, war es etwas wie ein
Totentanz des Schmausens, Trinkens und Liebens.

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