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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 23.1925

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Heft 11
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Neumeyer, Alfred: Berliner Bühne, [2]: Sommer 1925
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https://doi.org/10.11588/diglit.4653#0462

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5 „FAUST"

BERLINER BÜHNE. III

ALFRED NEUMEYER

S o m m

Wedekind, „Franziska". Theater in der König-
grätzer Straße. Regie und Bühnenbild: Karl Heinz Martin.
Gastspiel des Deutschen Volkstheaters, Wien.

Mit der Aufführung von Wedekinds „Franziska" hat
Berlin seine literarische Revue „an Alle" erhalten. Ich
weiß nicht, ob sich Wedekind das je so geträumt hat, es
schadet jedenfalls dem brüchigen Werke nichts, wenn seine
Pausen durch Zirkus ausgefüllt werden. Rückgratlose Wort-
akrobatik vereinigt sich jetzt unterhaltend mit Trapezkünsten
des Schauspiels und die Sektpfropfeneffekte fügen sich rhyth-
misch gut in das Spiel der besser disziplinierten Jazz-band.
Seltene Feinheiten und Tiefen des schöpferischen Wortes
überhört man, da die Darsteller durch den Weg über Wen-
deltreppen und schiefe Ebenen unsere ängstliche Aufmerk-
samkeit ganz für sich in Anspruch nehmen.

Wenn zweifellos auchTairoff, in dessen Spuren die Regie
Martins nicht ohne eigene Einfälle wandelte, aus der optischen
Einheit des Bühnenbildes einen beweglichen Gelenkmechanis-
mus geschaffen hat, es bleibt bei den Russen doch eine kon-
struktive Einheit erhalten. Die völlige Einbeziehung des
schauspielerischen Leibes in den Körper der Bühne bringt
diese Einheit zuwege. Dazu bedarf es beim Darsteller einer
monatelangen reglementierten Dressur, wie sie in Moskau
von Tairoff mit seinen Eleven geübt wird. Ja es gehört
dazu — wie ich glauben möchte — die Einheit eines Lebens-
stiles, an dessen Formung offenbar in Sowjet-Rußland
bei natürlich gegebenen Voraussetzungen der Staat selber
aufs höchste interessiert ist. Fallen diese Bedingungen weg,
so erleben wir — wie einst in dem nach mancher Richtung
hin wegweisenden Caligari-Film ■— die peinliche Tatsache,
daß die menschliche Gestalt wie ein Fremdling über die
Bühne irrt, die ihrerseits völlig andern Intentionen folgt,
als die Spieler. Es tritt dann ein, was das Schlimmste für
die Bühne genannt werden muß — Dekonzentration. Die
illusionäre Wirklichkeit nur da greifbar, wo alle Linien in
einem Brennpunkt zusammenströmen, verflüchtigt sich. Tai-
roff kann darum unter unserer heutigen westeuropäisch be-
stimmten Kultursituation nicht ins Deutsche übersetzt wer-
den, wenn auch Anregungen (vor allem im Kostümwesen)
genug von ihm ausgegangen sind und es noch tun werden.

Frau Durieux mühte sich, von vornherein mit dem
falschen Regieton belastet, viel Eindruck zu erwecken. Das
Stück lohnt nicht des Aufwands, der immerhin ernsthaften
Arbeit von Regisseur und Darstellern. Das muß einmal
zur Verteidigung Wedekinds ausgesprochen werden. Denn
es gab wahrhaftig Kritiker, die hier von einem „weiblichen
Faust" gesprochen haben. Nein, Wedekind hat in der
„Franziska" — traurig genug, daß er es mußte — auf Ho-
norar gearbeitet. Wollte man dies durch eine Zirkus-Revue
wieder gut machen, so ist das Stück zwar amüsanter, aber
nicht besser geworden.

Pirandello, „Die Wollust der Anständigkeit".
Kammerspiele: Regie R. Gerner.

er 1925

Die etwas papierne Sprache, die von den Menschen
dieses Schauspiels gesprochen wird und die fast wie im
bürgerlichen Rührstück des achtzehnten Jahrhunderts kon-
struierte Handlung vermöchte gewiß nicht so zu fesseln wie
dies geschah, wenn nicht im Hintergrund derselbe Dichter,
der die „sechs Personen" aus dem Dunkel entließ, zuweilen
seine ironischen Randbemerkungen dazwischen streute. Der
Wahrheitsfanatiker aus Ressentiment, aber dies Ressentiment
erst dann überwindend, wenn er sich zum Egoismus aus
Liebe bekehrt: dies ist der weiße Bruder Abel zu Kain,
dem Vater der „sechs Personen". Klopfer, also der Bruder
Gülstorffs, hielt sich auf der Höhe, die Pirandellos Proble-
matik erfordert. Doch ungemein bodenständig, mehr Träu-
mer als Denker, mehr Schwärmer als Ironiker, wäre er dem
Dichter wahrscheinlich eine fremdere Gestalt gewesen als
das durchaus intellektuelle Nervenbündel Gülstorffs. Es
tauchte plötzlich in mir der Wunsch auf, Klopfer einmal
Raimund oder Nestroy spielen zu sehen. Absonderliche
Feinheiten und Launen des Details in der Regieführung
darf man wahrscheinlich auch dem im Grunde versonnenen
Talente Klopfers zuschreiben. Eine erfreuliche Begegnung
war die mit Margarethe Christians, die den bedeutsamen
Schritt vom blühenden Aussehen der „schönen" Darstellerin
zur Eindringlichkeit innerlichen Rollen-Erfassens vollzogen
zu haben scheint. Überzeugt kann man über Spiel und
Spielführung — trotz der Sommerzeit — viel Gutes sagen. Un-
gemein sorgfältig war der wechselseitige Sprechrhythmus und
der Takt der Sprechpausen aufeinander abgestimmt, soweit
nicht Klopfers Privatspiel eine Bühne auf der Bühne er-
richtet hatte.

Da die schönen, im Charakter italienischen Kostüme und
der schwarze Wuschelkopf der blonden Christians, nicht
ein ganzes Bühnenbild zu füllen vermögen, so hätte ruhig
etwas mehr Liebe auf die Gestaltung des äußeren Rahmens
gelegt werden dürfen. Doch ist man glücklich, inmitten
der Operettenhochfiut noch ein wirklich theatralisches
Theaterstück beschert zu bekommen.

Georg Kaiser, „Der Brand im Opernhaus",
Staatl. Schauspielhaus. Regie: Neubauer. Bühnenbild:
Pirchan.

Dank ihres pointierten Erzählungsstiles vermag diese
dramatische Anekdote die Wirkung auszuüben, die einer
geistvoll zurechtgeschliffenen erotischen Münchhausiade zu-
zukommen verdient — man hält den Atem an. Denn
Kaiser ist zweifellos ein dramatischer Virtuose, der vor
Brecht und Bronnen das konzentrierte Arbeiten voraus hat.

Die Aufführung zog die drei Akte in eine pausenlose
Szene zusammen, was dem natürlichen Rhythmus des Auf-
baues nicht eigentlich zustatten kommt. Der gesamte
Regiestil, der auf äußerste Straffung hinarbeitete und sicher
nicht kleinlich wirkte, ließ dafür viel an Feinheit ermangeln,
so daß etwa die deutlich rahmenden Eingangs- und Aus.
gangsszenen ebenso stark betont wirkten, wie die eigentliche

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