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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 24.1926

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Heft 4
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Martin,Günther: Die Vereinigung der Kunsthochschulen und Kunstgewerbeschulen, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7391#0182

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DIE VEREINIGUNG DER KUNSTHOCHSCHULEN
UND KUNSTGEWERBESCHULEN

VON

GÜNTHER MARTIN

II

TT 7~enn man die Frage nach den Aufgaben einer
* * Kunsthochschule als Stätte zur Kunsterziehung
überhaupt prüft, so sieht man zwei Forderungen
sich widerstreiten: die Forderung der schulgerechten
Ausübung einer bestimmten Kunstregel, durch die
der Kunstgehalt vereinseitigt wird, und die Forde-
rung der individuellen Freiheit der Kunstschöpfung.
Es entspricht völlig den Tendenzen der Gegenwart
zur Lösung erstarrter Formen auf allen Gebieten,
daß auch in diesem Widerstreit die öffentliche Mei-
nung und damit die Prinzipien und Richtlinien
in der Verwaltung der Kunsterziehung augenblick-
lich die zweite Forderung vertreten. Zwar bestimmt
sich geistiges Leben überhaupt aus der Wechsel-
seitigkeit von Form und Freiheit, vollzieht sich also
in Reaktionen, es fragt sich aber, ob hier die Reak-
tion in ihrem Bestreben zur individuellen Freiheit
an der Kunstschule den eigentlichen Boden ihrer
möglichen Betätigung findet.

Die künstlerische Freiheit hat nur da einen Sinn,
wo sie selbst zur Form führt, kraft deren das In-
dividuelle in ihr zur Allgemeingültigkeit erhoben
wird. Aus dieser Allgemeingültigkeit werden Re-
geln abstrahiert, die das einzige sind, was an der
Kunst überhaupt lehrbar ist. An dem Dogma dieser
Regeln betätigt sich nun von neuem die individu-
elle Freiheit. So hat die schöpferische Leistung der
Kunst selbst den Bestand einer Form in dogma-
tischer Anwendung zur Voraussetzung.

Da die Freiheit nun aber nicht lehrbar ist, so
besteht die Aufgabe des Kunstunterrichtes darin,
an Hand jener Regeln das Vorbild des schöpfe-
rischen Vorganges zu vermitteln. Diese Regeln
sind zweifacher Art und beziehen sich auf Prin-
zipien der Materialbehandlung (Handwerk) und
auf Prinzipien der sinnlichen Formschöpfung. Zwar
findet bei jeder Gestaltung eine wechselseitige
Durchdringung beider Prinzipien statt, so daß kunst-
handwerkliche Arbeit nicht ohne Formgestaltung
sein kann und freie Kunstbetätigung nicht ohne
Handwerk, doch gründet sich in der Doppelheit
Vcrgl. Jahrgang XXIII, Seite 457ff.

der Prinzipien in den Lehrbegriffen der Kunst die
Unterscheidung von freier und angewandter Kunst.

Während die angewandte Kunst, als ein Hand-
werk, das dem äußeren Zweck von Gebrauchs-
gegenständen dient und doch des Mittels der Form-
schöpfung nicht entraten kann, ihre Stätte in den
Kunstgewerbeschulen finden sollte, nachdem der
Handwerksberuf selbst industrielle Arbeitsweisen
annahm, wird die freie Kunst, eine Gestaltung nach
dem inneren Zweck der Form, die doch das Hand-
werk nicht entbehren kann, von der Hochschule,
soweit Lehrbegriffe (Regeln) in der Kunst mög-
lich und notwendig sind, vertreten. Es sind aber
Lehrbegriffe, gewonnen aus den bestimmenden
Schöpfungen der jeweiligen Epoche, durch deren
dogmatische Verbreitung die Leistung eines Stiles
oder eines Meisters zum Gemeinbesitze einer Kunst-
generation wird. Die allgemeine Ausübung einer
Kunstform als ein Dogma ist der Boden, aus dem
die Freiheit der genialen Leistung erwächst. Das
Genie gibt zwar aller Kunstarbeit ihren eigentlichen
Sinn, doch braucht es den in der Tradition ge-
sicherten Bestand formenbildender Methoden, um
mit ihnen seine schöpferische Leistung zu voll-
ziehen. Jener Bestand ist ihm Vorbild für sein
Schaffen, doch zugleich erfüllt sich an demselben
als an einem Dogma sein künstlerischer Protest.
Die Leistung des Genies als Protest erfordert ein
Etwas, wogegen sich der Protest richtet: ein Dogma.
So fällt der Hochschule, je weniger die Kunst als
Stil Allgemeingut ist gemäß der historischen Ent-
wicklung, um so mehr die Aufgabe zu, der schöpfe-
rischen Leistung in der Kunst durch ein Heraus-
arbeiten von Dogmen das notwendige Korrelat zu
schaffen. Man untergräbt dem Genie die Möglich-
keit seiner Arbeit, wenn man erwartet, daß aus
einer Anstalt mit 150 Schülern 150 Genies oder
auch nur eines hervorgehen müssen. Mag jener,
der zur großen Leistung berufen ist, nun den Lehr-
gang einer Kunsthochschule durcheilen oder mögen
ihm aus seiner subjektiven Bereitschaft zum Wider-
stande gegen das Bestehende heraus die Tore der

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