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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 24.1926

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Heft 5
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Scheffler, Karl: Paul Cassirer
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https://doi.org/10.11588/diglit.7391#0202

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gründete, um eine Konjunktur wahrzunehmen,
sondern daß die Absicht ausschlaggebend war, den
damals fast unumschränkten Einfluß jenes Kunst-
geistes zu brechen, der gekennzeichnet ist, wenn
die Namen Böcklin und Klinger genannt werden
und für das einzutreten, was damals Naturalis-
mus hieß.

Hier ist eine Paranthese am Platz; es ist auch
die rechte Zeit dafür. Paul Cassirer und Bruno
Cassirer haben sich, wie man weiß, nach wenigen
Jahren getrennt. Es geschah aus persönlichen
Gründen. Bruno Cassirer hat dann seinen Verlag
und diese Zeitschrift begründet, denselben Uber-
zeugungen als Verleger folgend wie als Kunst-
händler. Beziehungen zwischen dem Verlag und
der Kunsthandlung haben nicht mehr bestanden;
im Gegenteil, es ist dieser Zeitschrift die heftige
persönliche Gegnerschaft Paul Cassirers nicht selten
unbequem gewesen. Die Öffentlichkeit hat diese
Verhältnisse nicht gekannt, sie hat eine ganz andere
Vorstellung gehabt, weil sie nicht selten falsch
oder gar böswillig orientiert worden ist. Versteckt
oder offen ist angedeutet worden, „Kunst und
Künstler" und die Kunsthandlung von Paul Cassirer
arbeiteten einander in die Hände. Da die ideellen
Interessen gleichartig waren, wurde gern unter-
stellt, auch die materiellen Interessen seien es. In
Wahrheit gab es niemals auch nur jene Bezieh-
ungen, die sich zu andern Kunstsalons wie von
selbst knüpfen. Der Herausgeber dieser Blätter hat
Paul Cassirer eigentlich erst vor etwa zwei Jahren
persönlich kennen gelernt und gesprochen.

Um so parteiloser läßt sich bei dieser Lage der
Dinge feststellen, daß das, was Paul Cassirer ge-
leistet hat, in hohem Maße die Kunst selbst an-
geht, daß seine Instinkte recht behalten haben,
und daß seine Berufsauffassung Schule gemacht
hat. Gelegentlich des sensationell wirkenden Todes
Paul Cassirers ist geschrieben worden, er sei lebens-
müde gewesen, weil er, das Kind der impressio-
nistischen Weltanschauung, die nachimpressionisti-
sche Kunst nicht hätte verstehen können. Diese
Auffassung wird ihm nicht gerecht. Die Tat dieses
leidenschaftlich der Kunst zugewandten Mannes
besteht nicht nur darin, daß er als einer der ersten
das Gewicht der großen Franzosen erkannte und
zuerst mit für Liebermann eintrat. Es handelt sich
um Grundsätzlicheres. Bevor Paul Cassirer seine
wichtigen Ausstellungen machte und in der Ber-

liner Sezession eine führende Stellung einnahm,
bevor er eine neue Auffassung des Kunsthändler-
berufs durchsetzte, bevor er neben Galerieleitern
wie Lichtwark und Tschudi, neben Kunstschrift-
stellern wie Maier-Graefe und Heilbut wirkte, gab
es in Deutschland überhaupt kein lebendiges Ver-
hältnis zur Kunst und keinen verläßlichen Sinn
für das Echte. Die Generation erst, der Paul Cassirer
angehörte, hat Kunst sehen gelernt und in der
Folge sehen gelehrt. Was ihn mit den besten Zeit-
genossen verband, war, daß er sein Auge bildete.
Es wurde ihm nicht leicht, denn er war immer
stark literarisch eingestellt. Dennoch gehört er an
erster Stelle mit zu denen, die es völlig aufgaben,
die Kunst durch das Medium der Idee zu genießen,
die alle Kunst vom Handwerk aus begreifen wollten
und die, so möchte man sagen, das Ethos der
Qualität entdeckten. Als Paul Cassirer wußte, daß
Manet, Renoir, Cezanne, Liebermann und Leibi
gute Maler sind und warum sie es sind, hielt er
wie von selbst einen Maßstab in Händen zur
richtigen Beurteilung aller Kunst, der neuen und
der alten, zur Beurteilung dessen, was über Zeit,
Stil und Entstehungsort erhaben ist. Sein Urteil
war in gewisser Weise klassisch geworden und
darum nicht mehr der Gefahr ausgesetzt, sich noch
grob zu vergreifen, wenngleich es natürlich nicht
im Widerstreit der Interessen ohne Schwankungen
hat sein können. Paul Cassirer hat sich in einer
sehr ernsten, in einer vorbildlichen Weise zum
Verständnis der Kunst erzogen; und da er ein
Mensch war, der jede Erkenntnis leidenschaftlich
propagierte, hat er seine ganze Generation an sei-
nem Erlebnis teilnehmen lassen. Für die Kunst des
letzten Jahrzehnts interessierte er sich im allge-
meinen weniger, nicht weil er sie nicht verstand,
sondern weil sie ihm, mit dem gewonnenen Maß-
stab gemessen, unzulänglich erscheinen mußte. Wenn
er dem Treiben der Zeit mit Bitterkeit zusah, so
war es, weil er in Gefahr sah, worum er sich ein
Menschenalter lang bemüht hatte, weil er den Sinn
für das Echte, für das Gestaltende wieder dahin-
schwinden sah.

Dieses ist es, was in „Kunst und Künstler"
über Paul Cassirer zu sagen ist. Über alles andere,
über die Problematik seines Wesens, über das sich
selbst Zerstörende einer leidenschaftlichen, ja hyste-
rischen Natur, über persönliche Schicksale und
über die Ursachen des Todes zu sprechen, ist hier

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