Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 24.1926

DOI Heft:
Heft 6
DOI Artikel:
Scheffler, Karl: Corinth
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7391#0247

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
eine ganz andere. Sie beruht auf vollkommener
Beherrschung des Pinsels, der Palette, des akade-
misch Lehrbaren und des Vortrags, sie bricht aus
der Lebensfülle des Menschen hervor, wogegen
Manets Spontaneität ein geistig souveränes Erleben
der sichtbaren Welt war. Corinths Temperament
äußerte sich darin, daß er in sehr persönlicher
Weise ein Resümee vieler Anregungen gab; Manets
Temperament lebte von der Entdeckung. Noch
weniger ist ein Vergleich mit Cezanne möglich.
Dieser Maler ging zwischen Bild und Motiv hin
und her, starrte lange ergründend, ganz dem Ein-
druck hingegeben, auf die Natur und kehrte dann
zum Bild zurück, um als Ergebnis der inneren An-
strengung einen einzigen Farben fleck von uner-
hörter „Richtigkeit" hinzusetzen. In dieser Weise
hat Corinth nie gesucht und gespürt. Er fand das
Richtige beim Malen, auf der Palette, beim Modell-
studium und glich darin einem Schriftsteller, der
sich erst beim Schreiben über sich selbst ganz
klar wird. Zu Courbet sollten mehr Vergleichs-
möglichkeiten da sein, um des Naturburschen-
haften willen, das in Beider Wesen war. Doch er-
gibt auch dieser Vergleich kein Resultat. Courbet
machte jede Erscheinung zum Stilleben, erfüllte die
Stillebennatur dann aber mit mächtigem Elemen-
targefühl. Corinth sah die Erscheinung nicht still-
lebenhaft. Er zog sie zwar ins Atelier, dort aber
bewegte sie sich wie auf einer Bühne; in seinem
Talent war der literarische Zug, den Courbet haßte,
er malte Gestalten, von denen Courbet gesagt hat,
kein Mensch hätte sie gesehen, wie könne man
sie also darstellen. Der Besucher brauchte in der
Nationalgalerie von den Bildern Corinths nur in
das Erdgeschoß zu gehen, um zu erkennen, welch
eine andere Welt die Kunst Leibis ist. Nicht zu
reden von Menzel. Wogegen in den Räumen, wo
die Bilder Böcklins und sogar die von Marees
hängen, der Kontrast nicht so groß erscheint. Wer
hat nun eigentlich ähnliche Sujets gemalt wie
Corinth: Kampf, Raub, Historien, Mythologien,
Legenden und andere Altmeistermotive? Dela-
croix tat es. Von ihm wird erzählt, er hätte das
schöne große Bild, das die Bremer Kunsthalle be-
sitzt, in wenigen Stunden im Gesellschaftsanzug
für ein Fest bei dem älteren Dumas gemalt. Ein
solches Bravourstück wäre auch etwas für Corinth
gewesen, ohne Bedenken hätte er jederzeit eine
Helena, eine Kreuzigung oder einen Odysseus ge-

malt, mit vollem Pinsel, schnell und sicher und
stets mit einem Meisterzug. Gleicht seine Malerei
darum der Delacroix'? In keiner Weise. Obwohl
beide in ihrer Art neuen Wein in alte Schläuche
füllten. Der Franzose sprengte mit jedem Pinsel-
strich die Akademie (nicht die Tradition); Corinth
benutzte sie mit jedem Pinselstrich, er lebte von
ihr, wenn auch frei wie kein anderer. Delacroix
war ein heroisch bewegter stolzer Geist, Corinth
war ein jovialer Geist. Delacroix empfand pathe-
tisch, Corinth nicht selten so witzig und ironisch,
daß er sich der Offenbachiade näherte. Es gibt
noch einen andern Künstler, von dem erzählt
wird, er habe eines seiner besten großen Bilder,
einen Kentauren am Meer, in wenigen Stunden
vor einer Ausstellungseröffnung auf erstem Anhieb
heruntergemalt: es ist der typische Münchner Bruno
Piglhein. In dieser Verbindung fällt einem der
Name wie von selbst ein. Piglhein läßt sich mit
Delacroix nicht vergleichen und war viel weniger
als Corinth; dennoch ist mit diesem eine Verwandt-
schaft da. Nicht nur weil Corinth in seinen Früh-
bildern ein typischer Münchner Maler ist, von Sei-
ten des Akademischen, des Modellhaften, des Ga-
lerietons, der Kunstgesinnung und der inneren
Unberührtheit. Die Verwandtschaft liegt auch in
der Lust an der Bravour, in der saftigen Dekora-
tionsfreude, in der altmeisterlichen Kühnheit und
wirkungslüsternen Handschriftlichkeit. Der Unter-
schied ist, daß bei Corinth ein angeborener Sinn
für Wirklichkeit hinzukam, der erzogen wurde
in der Schule des Naturalismus, daß er in einer
Zeit lebte, in der das Wesen guter Malerei ge-
wissermaßen neu entdeckt wurde, und daß er
die Gabe hatte, in einer hinreißenden Weise An-
regungen von allen Seiten aufzunehmen und zu
verarbeiten, daß er besser und persönlicher als
jeder andere alles, was die Zeit bewegte, zu resü-
mieren verstand. Er ist in Teilen etwas wie ein
verspäteter Historienmaler. Was ihn von den rein
akademischen Historienmalern jedoch unterschei-
det, ist dasselbe, was den Dichter des „Florian
Geyer", Gerhard Hauptmann, von den Schiller-
epigonen unterscheidet: ein aktueller Naturalismus.
Corinths zeichnerisch nicht selten konventionelle
Gestalten wagen zu fluchen, zu bluten, bestia-
lisch zu wüten und zu grinsen; sie stoßen
Naturlaute aus, ohne immer im tiefsten Natur
zu sein. Wirklich unbefangen gesehene Natur

220
 
Annotationen