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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 24.1926

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Heft 6
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Chronik
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https://doi.org/10.11588/diglit.7391#0274

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CHRONIK

Die Wiener Kunstsammlungen haben durch den
gleichzeitigen Rücktritt Hans Tietzes, des Referenten im
Ministerium, und Gustav Glücks, des Direktors der Gemälde-
galerie, einen schweren Verlust erlitten. Der Entschluß der
beiden um die Entwicklung der Wiener Museen seit dem
Kriegsende hochverdienten Gelehrten, der Eingeweihten
keineswegs überraschend kam, steht in engem, ursächlichem
Zusammenhang mit den Mißständen, die auch an dieser
Stelle bereits gekennzeichnet worden sind. Die Neuerwer-
bungen, die Gustav Glück während der letzten Jahre für
die Gemäldegalerie getätigt hat, sind von übelwollenden
Gegnern in so gehässiger Weise kritisiert worden, daß dem
langjährigen Leiter der Galerie, dem erst vor kurzem gelegent-
lich seiner Wiedergenesung von schwerer Krankheit die her-
vorragendsten Fachgenossen des In- und Auslandes ihre
Sympathie in einer schriftlichen Adresse bezeugt hatten, sein
Amt aufs gründlichste verleidet worden ist. Wien ist nicht
reich genug an tüchtigen jüngeren Kräften, um den Abgang
eines Gelehrten vom Range Gustav Glücks leicht ver-
schmerzen zu können, und die jämmerlich schlechte Dotierung
der Stellungen bietet keinen Anreiz zur Auswahl der am
besten Befähigten. Diese traurigen Verhältnisse sind einer
der Gründe, die Hans Tietze veranlaßt haben, jetzt ebenfalls
seinen Abschied zu nehmen. Man weiß — oder man weiß
eigentlich viel zu wenig, was dieser Mann für sein Land ge-
leistet hat, als es galt, den Zugritt' der beutegierigen Nach-
folgestaaten auf die Kunstschätze des habsburgischen Hauses
abzuwehren. Mit der Konservierung mußte aber eine Neu-
ordnung notwendig Hand in Hand gehen, und auch diese
hat Tietze in Gemeinschaft mit den Vorstehern der Ab-
teilungen in vorbildlicher Weise durchzuführen verstanden.
Die Vereinigung früher getrennter Sammlungen in einheit-
lichem staatlichem Besitz, die sich in Deutsch-Österreich ohne
langwierige Abiindungsverhandlungen sogleich nach dem Um-
sturz vollzog, ergab für den Aufbau der Museen ganz neue,
zuvor ungeahnte Möglichkeiten. Die Vereinigung der zwei
riesigen graphischen Sammlungen der Albertina und der
Hofbibliothek, mußte eine große Zahl wertvollster Dubletten
im Gefolge haben, deren Nutzbarmachung zur Finanzierung
ebenso umfangreicher wie bedeutender Ankäufe diente. Läßt
sich an irgendeiner Stelle die Veräußerung von Museums-
besitz rechtfertigen, so in graphischen Sammlungen, auf die
der Begriff der Dublette im eigentlichsten Sinne anwendbar
ist. Das hindert nicht, daß gegen den Direktor der Alber-
tina wie gegen Tietze gehässige Angriffe gerichtet wurden,
deren letztes Motiv die Restaurationshoffnungcn extrem kon-
servativer Kreise waren. Die Widerstände gegen das Tietze-
sche Reformwerk, dessen sichtbarste Zeugen das Barock-
museum und die neueingerichtete moderne Galerie im oberen
Belvedere sind, wurden im Laufe des vergangenen Jahres
immer mächtiger und haben endlich die Tätigkeit des von
seltenem Arbeitseifer und Berufsenthusiasmus beseelten
Mannes nahezu vollkommen lahmgelegt. So war es begreif-
lich, wenn auch im höchsten Maße bedauerlich, daß er aus
einem Amte schied, in dem er ersprießliche Arbeit zu tun
nicht mehr für möglich erachtete. In den Wiener Museen,

deren lebendige Entwicklung in den letzten Jahren die An-
teilnahme der Kunstfreunde in aller Welt auf sich gezogen
hat, wird nun vermutlich Grabesstille herrschen. Den noch
im Amt verbliebenen Galerieleitern wird die behördliche
Stütze fehlen, die ihre Arbeit überhaupt ermöglicht hat.
„Ein immer noch sehr sehenswerter Friedhof", das ist das
Prognostikon, das Tietze den Kunstsammlungen Wiens für
die nächste Zukunft ausstellt.

Betrachtet man aus der Perspektive Wiens die Lage der
Berliner Museumspolitik, so erscheinen die Verhältnisse hier
sehr viel komplizierter und verworrener als sie — wenigstens
vor dem sehr bedauerlichen Zusammenbruch der Fortschritts-
partei — in der österreichischen Hauptstadt gewesen sind.
Denn in dem Streite zwischen Bode und dem Minister, der
gelegentlich von Bodes achtzigstem Geburtstag eine neue,
wie uns scheint, höchst überflüssige Verschärfung durch die
brüske Ablehnung der dem Jubilar zugedachten Ehrung er-
fahren hat, liegen nicht eigentlich zwei feindliche Gesin-
nungen miteinander im Kampfe, sondern es fehlt nur an der
Verständigungsformel, die beide doch endlich einem gemein-
samen Ziel zustrebende Parteien zur Verständigung führen
könnte. Während aber Bode mit Hartnäckigkeit an dem
Plan des Asiatischen Museums in Dahlem festhält, der doch
durch die inzwischen bereits vollendete Umgruppierung end-
gültig erledigt ist, während der Streit um minder wesentliche
Fragen den Ausbau des Deutschen Museums verzögert, breiten
sich die Antikensammlungen immer weiter aus, und der Auf-
bau riesenhafter Architekturfragment^ verhindert die ver-
nünftige Lösung einer der brennendsten Fragen, nämlich die
Übertragung der Mschattafassade und der islamischen Ab-
teilung in den Südflügel der Neubauten.

Dieser interne Museumskrieg, dessen Kosten schließlich
die Öffentlichkeit zu tragen hat, beleuchtet aber nur eine
Seite der heillos verworrenen Lage preußischer Kunstpolitik.
Die ressortmäßige Scheidung eng zusammengehöriger Gebiete
der Kunstverwaltung ist der eigentliche und bleibende Kern
des Übels. In Deutsch-Österreich hatte man sogleich nach
dem Zusammenbruch den kaiserlichen Kunstbesitz einschließ-
lich der Schlösser für Staatseigentum erklärt und der Ver-
waltung des Kultusministeriums unterstellt. Bei uns liegt
die Verwaltung des ehemals königlichen Eigentums in der
Hand des Finanzministeriums, das zu dem Zweck eine eigene
Kunstabteilung eingerichtet hat. Aber damit nicht genug,
auch das Handelsministerium greift in die Kunstverwaltung
ein. So ist es wohl zu verstehen und zu begrüßen, daß der
alte Plan einer Vereinheitlichung der preußischen Kunstver-
waltung in jüngster Zeit erneut in der Presse aufgetaucht
ist, wenn an seiner Durchführbarkeit auch gezweifelt werden
muß. Denn nichts ist zäher als das Gesetz der Beharrung,
wenn Ressortpartikularismus das Bestehende zu erhalten
sucht. Die sechs Ministerien, die eigene Hochbauabteilungen
zu ihren Machtbereich zählen, werden die eigene bauherrliche
Gewalt nicht so leicht preisgeben. Das Finanzministerium
wird das Erbe der königlichen Schlösser nicht freiwillig an
ein neu zu begründendes Ministerium abtreten. Das Handels-
ministerium wird sein Recht an die gewerblichen Fachschulen

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