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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 24.1926

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Heft 7
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Friedländer, Max J.: Honoré Daumier
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https://doi.org/10.11588/diglit.7391#0301

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HONORE DAUMIER, KERKERSZENE. TUSCHZEICHNUNG

AUSGESTELLT IN DER GALERIE MATTIUESEN, BERLIN

Als Humorist und politischer Streiter steht Dau-
mier hoch über allen Rivalen. Seine Begabung
entsprach durchaus den Aufgaben, die ihm von
den Witzblättern gestellt wurden, seine Sehweise
ganz und gar diesen Mitteln, das Tempo seines Tem-
peramentes der hier geforderten Quantität. Statt
den Meister dadurch zu ehren, daß man ihn in eine
höhere Klasse versetzt, sollte man lieber konsta-
tieren, daß sein Genie die Gattung der Karikatur-
zeichnung erhöht hat. Daumier selbst mag zu-
weilen, der harten Tagesarbeit überdrüssig, sich
nach „reiner" Kunst gesehnt haben, die Quellkraft
seiner bildenden Phantasie ist aber sicherlich durch
die hastig wechselnden Forderungen des politischen
Lebens angetrieben und gesteigert worden. Er war
zu groß in seiner Liebe, seinem Haß, seinem Mit-
leid, als daß beschauliche Betrachtung ihm genügen
konnte. Hunderte von Gemälden hätten nicht auf-
zunehmen vermocht, was Tausende von Stein-
drucken enthalten. Die geistige Regsamkeit und
seelische Teilnahme entstrebten der Atelierenge.

Die Gemälde entstanden nebenbei. Als Maler
ist Daumier vergleichsweise unselbständig. Wenn
er schon in jungen Jahren, bald nach 1830, in
der Porträtkarikatur niemandem gleicht, sucht er
als Maler tastend seinen Weg, scheint sich bald
an Delacroix, bald an Millet zu halten. Seine Ma-
lerei ist ungleichartig. Er experimentiert, unzu-
frieden mit seinen Erfolgen. Die Schulung, auch
die regelmäßige Übung mangelt. Seine Materie
ist zumeist dickflüssig und trübe. Breite Risse ha-
ben sich nicht selten gebildet. Manche Gemälde
mußten deshalb „restauriert" werden und haben
dabei arg gelitten.

Daumier wußte sehr wohl, daß ein Gemälde
von Grund aus etwas anderes wäre als eine Illu-
stration. Er löste die schlagfertige Rede seiner
Zeichnung im Klange der Farbe, einem schwer-
mütigen und sehnsüchtigen Klange. Die scharfe
und witzige Beobachtung, die Angriffslust, das
Mitteilungsbedürfnis entschlummern dem Maler,
das Individuelle, Porträthafte weicht dem kreatur-

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