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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 24.1926

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Heft 8
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Heise, Carl Georg: Carl Milles
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https://doi.org/10.11588/diglit.7391#0353

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wurzelt im Norden mit allen Fasern seines Seins,
aber sein Gesicht ist der Sonne zugewendet, nicht
der von Hellas allein, sondern, entsprechend der
Wandlung des europäischen Geschmacks vom
Klassizismus zum historischen Universalismus, der
Sonne der südlichen Kulturen schlechthin. Er ist
stolz darauf, einen Tropfen Sergeischen Blutes in
seinen Adern zu haben. Wie ein Sinnbild ragt
eine Säule in seinem Garten auf, die der Künstler
sich beim Abbruch einer Stockholmer Theaterfront
gerettet hat; ihr Kapitäl ist von der Hand seines
großen Ahnherrn gebildet.

Rezeptivität und Südsehnsucht sind immer wie-
derkehrende charakteristische Eigenschaften schwe-
discher bildender Kunst. Gerade darin zeigt sich
die Stammesverwandtschaft mit den Deutschen. Ist
es bei uns indessen zum mindesten ein offenes
Problem, ob die Befruchtung durch romanische
Einflüsse uns reicher macht oder unser Wesen zu
brechen droht (und die Anhänger der Gefahr-
Theorie auf einige gewaltige Sonderlingsgestalten
rein germanischen Wuchses mit größtem Rechte
pochen können), so scheint für die Schweden diese
Frage entschieden zu sein: sie können des Südens
nicht entraten. Die Gründe ahnen wir: die relativ
kurze eigene künstlerische Tradition, die noch
größere Entfernung vom Süden, die eine noch
heißere Sehnsucht erweckt, die Verträumtheit, die
zugleich zarte und schwerblütige Phantasie, die der
Entzündung am Gegensätzlichen noch stärker be-
dürftig ist, um schöpferische Spannung zu erzeugen.
Zugegeben sei indessen, daß letzten Endes auch
hier die künstlerische Potenz ausschlaggebend ist.
Der eine Münch scheint die höchsten und eigenen
schöpferischen Möglichkeiten des Nordens sichtbar
zu machen. Auf der einsamen Höhe dieses Nor-
wegers aber steht heute kein Künstler in Schwe-
den, und soviel ist sicher, daß hier weit mehr
Genie dazu gehören würde als in Deutschland, das
Wesen der Nation ohne fremde Hilfe künstlerisch
sichtbar zu machen. Wer bei uns — ob mit Recht
oder mit Unrecht sei dahingestellt — längst sich
berechtigt fühlen würde, seine landestümlich be-
dingte Sonderheit allein zum Zentrum seiner Frucht-
barkeit zu machen, der müßte im Norden noch
lange dienen. Milles einen Eklektiker nennen, das
hieße die geographischen und nationalen Besonder-
heiten seines Landes außer acht lassen. In ihm
wohnt ein stolzes und leidenschaftliches, schwe-

disch gefärbtes und doch durchaus europäisches
Künstlertum und wenn überhaupt, so wird man
vor seinen Werken das paradoxe Wort von der
Möglichkeit schöpferischer Rezeptionsfähigkeit aus-
sprechen dürfen.

Außerhalb seines Landes für Milles einzutreten,
ist deswegen so schwer, weil die Stärke seiner
Begabung in seinen monumentalen Arbeiten Hegt,
die aus ihrer Umwelt nicht nur aus technischen
Gründen nicht zu verpflanzen sind, sondern auch
künstlerisch ohne sie ihr Bestes einbüßen würden:
die Anpassung an die natürlichen Gegebenheiten
und an den Geist der besonderen Aufgabe. Milles
ist Denkmalplastiker. Von dieser Gattung besitzen
wir in Deutschland nicht einen einzigen. Gott-
lob, sagen die Vertreter eines strengen l'art pour
Part-Standpunktes, denn Denkmal ist ihnen Ver-
quickung von Kunst und Tendenz. In Wahrheit
aber scheint mir dieser Mangel auf einen wunden
Punkt in unserer skulpturalen Tätigkeit zu deuten :
daß bei uns nicht mehr große volkstümliche Ge-
danken bildnerische Gestalt gewinnen. Das popu-
läre Denkmal ist künstlerisch unzulänglich und
das künstlerisch beste bleibt Ausstellungsplastik.
Lederers Hamburger Bismarck mit seiner bestechen-
den Schein-Monumentalität bei innerer Leere und
Kolbes meisterhafte Leipziger Jünglingsfigur für
die gefallenen Buchhändler mit ihrer mißglückten
Denkwaiswirkung im Straßenbild sind als Sym-
ptome charakteristisch. Daß in Deutschland der
Gedanke des Helden-Haines zur Ehrung der Ge-
fallenen des Weltkrieges so starken Widerhall fin-
den konnte, das liegt nicht zuletzt an der richti-
gen Witterung für die bei uns fast unüberwind-
lichen Schwierigkeiten einer als Sinnbild und als
Kunstwerk gleich befriedigenden Lösung. Milles
hat den Mut zu phantasievoller, lebendig aus volks-
tümlichen Vorstellungen schöpfender Erfindung und
dazu den Takt einer gemäßigten, klugen, nicht ge-
waltsam persönlichen und immer handwerklich
vollendeten monumentalen Formensprache. Eine
große Anzahl von Denkmälern, darunter einige
von höchster nationaler Bedeutung, dazu Brunnen
und monumentale Schmuckskulpturen fangen an,
das künstlerische Bild des Landes sichtbar zu be-
stimmen. Von ihrer Wirkung kann, fern von den
Originalen, nur andeutend gesprochen werden.
Rudbeckius, der große Gottesmann, der von sich
gesagt hat, daß er nur Gott und der Sonne sich

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