Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 24.1926

DOI Heft:
Heft 10
DOI Artikel:
Meyer, Peter: Fragmente antiker Architektur und ihre Ergänzung
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7391#0417

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
FRAGMENTE ANTIKER ARCHITEKTUR
UND IHRE ERGÄNZUNG

VO N

PETER MEYER, ZÜRICH

T"\er mit neuer Heftigkeit entbrannte Berliner
Museumsstreit gibt Anlaß, die Frage der Er-
gänzung antiker Architekturteile und ihre Auf-
stellung in Museen von der prinzipiellen Seite zu
betrachten, was dem Verfasser dieses Aufsatzes um
so leichter fällt, als er weder die Einzelheiten der
Berliner Museumspläne, noch die in die Kontro-
versen verwickelten Persönlichkeiten kennt.

Von den deutschen Ausgrabungen in Olympia,
Magnesia, Milet, Priene, Baalbek, Samos sind zahl-
reiche Architekturfragmente nach Berlin geschafft
worden: Basen, Säulentrommeln, Stücke vom Ge-
bälk antiker Bauten, aus denen sich die Form des
Ganzen auf Grund der Proportionsgesetze rekon-
struieren läßt. Denn selbstverständlich ließen sich
schon aus Transportgründen nicht ganze Tempel
importieren, selbst wenn die Trümmer an Ort
und Stelle noch vollständig vorhanden wären, —
was sie nicht sind. Nun ist geplant, durch Er-
gänzungen in Gips, Zement und Haustein mit
Hilfe der originalen Stücke ganze Gebäudefronten,
Triumphbögen und ähnliches in Naturgröße wie-
der aufzustellen, Säle von entsprechendem Aus-
maß stehen bereit. Man kann diese großzügigen
Bemühungen um eine Evokation der antiken
Kunst begreifen und sich dennoch die Frage vor-
legen, ob der gewählte Weg auch wirklich der
nächste zum Ziel ist, denn bei näherem Zusehen
erscheint zweifelhaft, ob die naturgroßen Rekon-
struktionen auch wirklich das vermitteln werden,
was sie vermitteln sollen: unmittelbare Anschau-
ung. Diese Anschauung nämlich kann sich nur
auf zwei Dinge beziehen: entweder auf die ori-
ginalen Fragmente, oder auf das künstlich rekon-
struierte Ganze, nie aber auf beides zugleich, und
keinem dieser Gesichtspunkte ist mit solchen Re-
konstruktionen in Naturgröße gedient. Eine ein-
zelne Basis, ein Kapitäl oder Gebälkfragment für
sich allein gesehen ist ein plastischer Gegenstand,

Anmerkung der Redaktion: Wir geben zu der in
Berlin aktuellen Frage, nachdem wir selbst unsere Meinung
gesagt haben (Heft VII), zunächst einem Architekten, dem
Herausgeber der Schweizerischen ßauzeitung, das Wort.

den man aus relativer Nähe betrachten, und auch
als Material in seiner ehrwürdigen Patina auf sich
wirken lassen will. Das Gefühl des Historischen,
das Pathos der Echtheit haftet nun einmal un-
weigerlich und ausschließlich an der originalen
Oberfläche, an der Haut des Steines, mit allen ihren
Poren, Schrammen,Oxydierungen,Verwitterungen:
wie mißlich wirken nur schon die wenigen und
diskreten Ergänzungen an der Athener Akropolis,
und diese bestehen doch noch aus Stein aus dem
gleichen Steinbruch wie die echten Reste. Ergänzt
man nun solche Fragmente zu ganzen Säulenord-
nungen, so wird der Eindruck der Echtheit auch
den wirklich echten Stücken gegenüber verwüstet,
denn die Ergänzung überwiegt bei weitem im op-
tischen Gesamtbild, der Beschauer hat nicht mehr
das Gefühl, einer originalen Substanz gegenüber-
zustehen: der echte Teil wird vom unechten auf-
gezehrt. Auch hier sind wieder zwei Möglichkeiten
denkbar: entweder man macht die Ergänzung als
solche kenntlich, indem man ihr unedleres Mate-
rial offen zugibt: dann wirken die wenigen echten
Teile, die im Gips schwimmen, einfach als stö-
rende Flecken und man würde sie lieber der Homo-
genität des Ganzen zuliebe überhaupt vermissen,
oder man sucht die Ergänzung an Farbe und Ober-
flächenstruktur dem Echten anzugleichen: dann
hat der Beschauer das peinliche Gefühl der Fäl-
schung. In jedem Fall aber wird das echte Frag-
ment zum bloßen Genauigkeitsattest für ein künst-
liches Gipsgebilde mißbraucht; das mag weniger
wichtigen Architekturteilen gegenüber noch an-
gehen, angesichts des Pergamonfrieses ist der Ge-
danke unerträglich, daß man so respektlos sein
könnte, herrlichste antike Figuralplastik zum bloßen
Teil eines archäologischen Demonstrationsmodells
im Maßstab 1:1 herabzuwürdigen.

Man denkt mit Grauen, ein Amerikaner könnte
etwa durch diese Berliner Komplettierungen dazu
angeregt werden, den Athenern ein Stück Par-
thenongebälk in Gips zu stiften, um die echten
Metopen und Platten vom Fries dort einzulassen,
wo sie dem Schema nach hingehören: das Akro-

390
 
Annotationen