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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 24.1926

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Heft 11
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Hausenstein, Wilhelm: Apollon von Tenea
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https://doi.org/10.11588/diglit.7391#0452

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PAUL GAUGUIN, BRETONISCHE LANDSCHAFT

MIT ERLAUBNIS DER SOCIETE DU DROIT ü'aUTEUR AUX ARTIST ES (GALERIE A. FLECHTHEIM)

APOLLON VON TENEA

VON

WILHELM HAUSENSTEIN

Die Altertumskundigen haben der Gestalt, die
eine Nische der Glyptothek in München be-
wohnt, den Namen des Gottes genommen. Sie
erkennen nur das Bild eines Jünglings: die Statue
sei Denkmal von einem Grab zu Tenea bei Korinth.
Der alte Name dient noch zur gewohnheitsmäßi-
gen Verständigung der Liebhaber; sie wissen, wel-
cher rosigbraune Marmor, welche Zucht der Hal-
tung mit diesem stolzen Namen gemeint ist. Und
wäre er von der Auserlesenheit des Bildwerks
nicht verdient — so jetzt wie je?

Griechenland tritt in dieser Gestalt aus der
Feierlichkeit ägyptischer Uberlieferung hervor. Die
Archäologie wies die Entstehung der Figur in die
Zeit gegen 600 vor Christus. Die großartige, ja
stilbildende Befangenheit ägyptischer Bildnerei fängt
in dem frühen griechischen Marmor an, sich leise
zu lösen. Die Kolossalität ägyptischen Bildens
nimmt in dem griechischen Bildner, der das Erbe
vom Nil trägt, menschliche, lebensgroße, ja schier
intime Maße an. Apollon von Tenea ist von irdi-
scher Statur. Die ägyptische Form zerbricht wie

die Mächtigkeit einer einfachen Schale — und siehe:
es scheint hervor ein griechischer Kern von zar-
terer, von mehr empfindsamer, von innigerer Bil-
dung. Wunderbarer Augenblick des Ubergangs;
ein psychologischer Augenblick der Weltgeschichte
des künstlerischen und des sittlichen Geistes. Die
strenge Fassung ägyptischen Bildens, welche die
Antwort an den geschlossenen Stil des Auftretens
und Verweilens ägyptischer Götter und Herren ist,
wird von dem teneatischen Jüngling nicht einge-
büßt — um so weniger, als auch das Ebenbild des
frühen Griechen noch dem Geist herrschaftlicher
Haltung huldigt; aber von der nämlichen Gestalt
nimmt die griechische Liberalität, die eines Tages
das Klassische sein wird, ihren ersten Anfang;
jene griechische Liberalität, die zwischen dem Ak-
tiven und dem Passiven, dem Befehlen und dem
Folgen, dem Gefaßten und dem Entspannten die
schöne Mitte findet.

Niemandem, der das Glück hatte, durch ein Gym-
nasium zu gehen, blieb der Apoll von Tenea fremd.
Niemandem, der von griechischer Kunst einen

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