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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 24.1926

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Heft 12
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https://doi.org/10.11588/diglit.7391#0524

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Der Verfasser hat die Brucgel-Zeichnungen scharf geprüft.
Er gibt eine Liste, die erheblich abweicht von derjenigen,
die uns in Hulin-Bastelaers großem Brucgel-Werke zur Ver-
fügung stand. Er hat mehrere Blätter hinzugefügt und recht
viele abgestoßen. Beinahe hundert Zeichnungen hält er
für „echt" und bildet er ab.

Der Text bietet mehr als einen kritischen Katalog, er
enthält eine hoch gestimmte Schilderung, mit der Bruegels
Kunst von einer Seite höchst eindrucksvoll und überzeugend
erfaßt wird. Der Meister wird hauptsächlich als der Dar-
steller der Landschaft gewürdigt. Als genial und persönlich
wird seine Leistung gefeiert. Er sei, das Hochgebirge beim
Überschreiten der Alpen erlebend, in das Geheimnis der
Naturzeugung eingedrungen, habe im Erdleib die Spuren geo-
logischer Katastrophen gespürt, Geschehen und Werden in sicht-
baren Formen ausgedrückt. Nachdem der Verfasser jugend-
lich radikal die Tat seines Helden in den Zeichnungen der
Gebirgslandschaft begriffen hat, mißt er das gesamte „Werk"
des Meisters am Maßstab des erregten Naturempfindens und
wird relativ gleichgültig gegen die mehr ruhige und sachliche
Sehweise, die Bruegel in der Heimat entwickelte. Über
die Darstellung der Menschengestalt, die Beobachtung des
Menschentreibens sagt er Neues und Treffendes, rundet aber
das Bild nicht ab, erstens, weil er geflissentlich vermeidet, zu
sagen, was schon gesagt worden ist, und dann, weil ihm der
Sinn für Humor abgeht, ohne den Bruegel schließlich doch
nicht ganz zu verstehen ist. Daß der Text mit jedem Satze
gegen nachlässige und oberflächliche Beurteilung protestiert,
ist erfreulich und wird sich als fruchtbringend erweisen, doch
nimmt der Verfasser in natürlicher Reaktion den Meister zu
schwer und belastet seine Darstellung mit allzu abstrakten
Begriffen. (Als Motto ein Zitat aus--Hegel!)

Im Anhang aufklärende Angaben über das Inhaltliche
der satirischen Darstellungen. Dann Bemerkungen über die
Zeichnungen, die der Verfasser als Zu schwach oder als mit
seiner Vorstellung unverträglich ablehnt. In vielen Fällen
ist seine Kritik, die sich gegen Bastelaers Liste, sowie gegen
die Illustration meines Bruegel-Buches wendet, sehr zu-
treffend. Das „Werk" wird erfreulich gereinigt. Für einige
verurteilte Blätter möchte ich auf milderen Spruch plaidieren.
Was die lange Reihe der Figuren mit der Beischrift „Naer
het leven" betrifft, versucht der Verfasser — nicht ganz er-
folgreich — zwischen „echten" und „falschen" Blättern zu
unterscheiden. Es gibt unter diesen Zeichnungen bessere
und schlechtere in vielen Stufen. Eine klare Abtrennung
der falschen, die Kopien sein müßten, will nicht gelingen.
Übrigens kennt der Verfasser ebensowenig wie seine Vor-
gänger den Sinn, die Bedeutung, die Zweckbestimmung
dieser Aufnahmen.

Das Positive in dem Buch ist reich genug, für eine Erst-
lingsarbeit sogar überraschend reich. Die tief eindringende,
an sich und an den Gegenstand die höchsten Ansprüche
stellende Bemühung, die über das Geistige das Sichtbare
nicht vergißt, fördert das noch junge Verständnis für Pieter
Bruegel beträchtlich. M. J. Friedländer.

DieKunstdes 20. Jahrhunderts von Carl E instein.
Im Propyläenverlag 1926.

Dieses Buch verzeichnet in sieben Kapiteln und 380 Ta-

feln das Kunstschaffen der letzten 25 Jahre. Zum ersten Male
wird die innere Entwicklung, der logische Ablauf der schein-
bar heterogenen Bewegungen aufgezeigt, die selbst den
geübten Beobachter leicht verwirren, da sie ihm stets aufs
neue die letzten Vorbehalte entwinden. Es wird der Zu-
sammenhang der großen Kunstwandlung um 1900 mit den
Umstellungen des wissenschaftlichen Denkens angedeutet,
ihr Ort in dem gesamten Geistesgefüge des Zeitalters auf-
gesucht. Vergangenes wird herangezogen, das Heute zu be-
lichten, oft auch, um seine Problematik zu erweisen. Doch
erhellt sich wiederum nach rückwärts der geschichtliche Ver-
lauf: Kunstgeschichtliche Begriffe und Typen — etwa der
„Klassiker" und „Klassizismus" im Kapitel Derain — werden
neu umrissen. Jedes einzelne Oeuvre wird in seltener Objek-
tivität auf seinen Anteil an dem Gesamten der Zeit geprüft
und danach gewertet. In theoretischen Kapiteln wird das Gesetz
dieser künstlerischen Bewegungen erforscht, oftmals durch lite-
rarische Parallelen bekräftigt; in anderen — z. B. den Seiten
über Rousseau, Barlach — ist liebevoll Menschliches erfühlt.
Voraussetzung für eine solche Leistung ist nicht nur die
genaueste Kenntnis dieser Kunst und ihrer Theoreme von
ihrem Beginn her, sondern der fruchtbare Standpunkt des
künstlerisch und wissenschaftlich mit den treibenden Kräften
der Zeit verbundenen Schriftstellers. (Am Anfang der Be-
wegung steht ja der in Deutschland noch immer abgelehnte
„Bebuquin" desselben Verfassers.) Darüberhinaus ein strenges,
an der Kenntnis vergangener und fremder Kunst erzogenes
Gefühl für (Qualität. Das Buch setzt mit den „Vorbedingungen"
ein: der Impressionismus in seiner früheren und späteren
Phase wird bestimmt, seine Umdeutung durch van Gogh
und das Suchen nach dem großen Bild (Cezanne und Seurat),
das die neue Kunst einleitet. An ihrem Beginn stehen
Matisse, Derain, Rouault und andere — jeder ein besonderes
Kapitel dieser Malerei. Auf etwa vierzehn Seiten ist dann
das wichtigste Ergebnis des Buches — das Entscheidende
über das neue Seherlebnis der Epoche, den Kubismus —
zusammengedrängt. Wie in seiner „Negerplastik" hat der Ver-
fasser es in diesem bedeutsamen Kapitel verstanden, einen dem
Publikum unbequemen, hartnäckig widersprochenen Typus
Kunst als wesentliches Phänomen Zu erweisen. Es folgt eine
Studie über die italienischen Futuristen und ihre etwas literari-
sche Programmkunst. Danach die schwierige Aufgabe, die Linien
der „provinziell und landschaftlich so geschiedenen" Malerei
der Deutschen zu zeichnen, die nicht — wie die Franzosen —
„an eine klare Überlieferung anknüpfen konnten", deren
Schicksal es von jeher war, in Willen und Ziel auseinander-
zustreben, daher ihre „Bilder nicht die Kraft bindender
Symbole besitzen". So muß sich hier Kunstgeschichte not-
wendig in Künstlergeschichte auflösen. Die Triebkräfte,
die in der Kunst des neuen Rußland wirksam sind, werden kurz
skizziert. Das letzte Kapitel ist den Strömungen in der
Plastik gewidmet, die ja seit Jahrhunderten von der großen
Entwicklung der europäischen Malerei beschattet wird und
überdies heute eine Architektur entbehrt, „die ihren Raum-
körpern mehr gewähren sollte als Fassade". Die Fülle der
biographischen Tatsachen und Datierungen erhöht den Wert
des Buches. Die Bilder sind so vortrefflich ausgewählt wie
reproduziert.

Hedwig Fechheimer.

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