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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 25.1927

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Heft 3
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Dreyfus, Albert: Ein Besuch bei Aristide Maillol
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https://doi.org/10.11588/diglit.7392#0110

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den, nackten Krieger. Es ist der erste Entwurf
zu einem Denkmal für die Gefallenen des Welt-
kriegs. Die Relieftafel soll die Mitte eines Tripty-
chons einnehmen. Links davon ist eine Kränze
herantragende Frauengestalt, rechts eine als Witwe
mit ihrem Kind zurückgelassene Frau vorgesehen.
Maillol hatte das Werk seiner Vaterstadt Banyuls
stiften wollen. Bis jetzt hat die Stadt keine Lust
gezeigt, ihn um die Ausführung zu bitten. Es ist
nicht patriotisch, nicht siegverherrlichend genug!
Eine Schöpfung edelster Menschlichkeit ist hier
im Entstehen aufgehalten.

Dem Atelier ist ein Schuppen angebaut. Er
beherbergt die große ruhende Frauenfigur mit dem
Lorbeerzweig in der Hand, die als Cezannedenk-
mal gedacht ist. Man weiß noch nicht, ob es in
Aix oder in Paris errichtet werden soll. In Griechen-
land stritten sich sieben Städte um die Ehre, Homers
Geburtsort zu sein. Hier kostet es Mühe, zwei
Städte von der Ehre zu überzeugen, ein Cezanne-
monument von der Hand des echtesten Fortsetzers
griechischer Kunst zu besitzen.

Vor dem Schuppen steht ein Frauentorso* in
vorwärtsschreitender Bewegung, dem der Kopf und
die Arme fehlen. Aber Maillol holt den Kopf und
die Arme herbei und setzt sie an. Ein Wunder der
Lebenserweckung von noch größerem Ausmaß als
das erste! Nur das Tuch fehlt jetzt noch, das, von
den Händen gehalten, nach hinten herunterfällt. Wie
versteht Maillol mit ein paar Worten anschaulich zu
machen, worauf es ihm ankommt: auf Gleich-
gewicht und Leichtigkeit.

* Die Abbildung zeigt das Werk noch ohne Füße.

Ein anderes großes Werk ruht vor dem Schup-
pen im Gras: eine sitzende Frauenfigur mit auf-
gestelltem linken Knie, auf das sich der linke Arm
aufstützt. Es ist die Marmorstatue, die im Tuilerien-
garten ihren Standort haben wird. Sie scheint mir
unübertrefflich, bis ins einzelnste ausgearbeitet und
abgerundet. Aber Maillol ist noch nicht zufrieden:
„Sehen Sie hier an dem Rücken, an den Schenkeln
ist noch die Arbeit meines Gehilfen bemerkbar;
der Meißel ging ohne Empfindung, ohne Verständ-
nis darüber hin. Ich muß sie noch einmal vor-
nehmen." Und wie über eine Haut streicht er
über den Marmor.

Maillol steht mit zwei Besuchern auf dem Rasen
im Gespräch, den Kopf geneigt, die sehnigen wie
ziselierten Hände gefaltet. Die Stirn ist in noch
tiefere Furchen gezogen. Das Auge gesenkt, läßt
er ihre Kaufvorschläge über sich ergehen, ohne
recht zuzuhören. Mit seinen Gedanken ist er bei
all diesen Vollendung von ihm heischenden Wer-
ken, die seinen Geist bedrängen wie den Mutter-
leib die Kinder, die geboren werden wollen. Das
ist die Not, die sich eben auf seinem Gesicht aus-
drückt. Ein Künstler steht vor mir, der sich in
seinem Schaffen als Knecht der Gottheit fühlt, sich
der ganzen Verantwortung des an ihn ergangenen
Rufes bewußt ist. Hölderlin fällt mir ein mit sei-
nen schicksalgehämmerten Worten:

Doch uns gebührt es, unter Gottes Gewittern,
Ihr Dichter! mit entblößtem Haupte zu stehen,
Des Vaters Strahl, ihn selbst, mit eigener Hand
Zu fassen und dem Volk ins Lied
Gehüllt die himmlische Gabe zu reichen.

ATELIER ARISTIDE MAILLOLS IN MARLY
LINKS DIE „VENUS", RECHTS DIE „POMONA"

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