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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 25.1927

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Heft 4
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Beenken, Hermann: Deutsche Kunst des elften Jahrhunderts
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https://doi.org/10.11588/diglit.7392#0148

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SCHLÜSSELÜBERGABE. PERIKOPENBUCH HEINRICHS II.

VERLAG RIEHN & REUSCH, MÜNCHEN

Ausdruckszentren sammelt und so Pole schafft für
die dynamischen Kräftespannungen, die das Bild-
feld beherrschen. Für den Guß der Türen muß
dieser eigentümliche Stilwille des leitenden Meisters
große Schwierigkeiten mit sich gebracht haben.

Merkwürdig regellos scheinen in diesen Bronze-
reliefs die Figuren über den Bildgrund verteilt.
Es ist eine Verteilung, die allen gewohnten Prin-
zipien von Komposition widerspricht. Aber es
wäre voreilig, nun auf kompositionelles Unver-
mögen der Künstler zu schließen, wie man es
häufig getan hat. Wer so urteilt, übersieht, daß
die eigentümlichen Qualitäten dieses Stils jene
kompositionellen Disharmonien notwendig voraus-
setzen, daß gerade aus ihnen jene Spannungen

erwachsen, die hier die Essenz aller
künstlerischen Wirkungen sind. Je-
des Bildfeld ist über und über mit
Energien und Energienspannung ge-
laden, und je leerer ein Relief an
Figur oder füllender Zeichnung ist,
je stärker die glatten Grundflächen
vorherrschen, um so weniger gerade
kann von einer inneren Leere die
Rede sein, um so energieerfüllter ist
alles. Denn überall sind Kräfte vor-
handen, die über die plastischen Bal-
lungen von Ding und Figur mächtig
in die raumlose Leere des stehen-
gebliebenen Reliefgrunds hinauswir-
ken. Je größer die Leere, und je in
sich gesammelter umgekehrt die Fi-
gur, desto intensiver die Spannung,
desto beseelter der Bildgehalt.

Welches sind die geistigen Vor-
aussetzungen, von denen aus diese
merkwürdige Kunst zu verstehen ist?
Eine Antwort gibt sie uns selbst, so-
bald wir ihre Werke mit den Wer-
ken anderer Epochen der abendländi-
schen Kunstgeschichte vergleichen.
Zunächst sei die selbstverständliche
Feststellung doch noch gemacht, daß
nicht Naturbeobachtung ihre Ernäh-
rerin war. Nicht Gesehenes wird
hier wiedergegeben, sondern geistig
Bedeutsames. Das Kriterium geistiger
Bedeutsamkeit ist das entscheidende.
Aber diese Bedeutsamkeit der Relief-
gestalten ist keine Bedeutsamkeit im Sinne einer ge-
steigerten Individualität, wie es in der Kunst des
hohen Mittelalters bereits der Fall war; man denke nur
an die „Sibylle" und den „Reiter" in Bamberg! Im
Gegenteil, das Individuelle ist nahezu völlig gelöscht,
Blick und Gebärde haben gar nichts Persönliches,
sie sind überhaupt, als von einem in der Gestalt
selber ruhenden Individualzentrum her bestimmt,
in keiner Weise erklärbar. Und doch sind sie
wieder von jener unerhörten Ausdrucksgewalt,
die aller späteren Kunst des Abendlandes so man-
gelt und für die uns erst wieder die Kunst unserer
eigenen Tage das Auge geschärft und das Ver-
ständnis geweckt hat. Es ist eine in allerhöchstem
Maße geistige Kunst, die aber in dem von ihr

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