Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 25.1927

DOI Heft:
Heft 9
DOI Artikel:
Scheffler, Karl: Max J. Friedländer
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7392#0348

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
kommen. Und erscheint eben darum als eine
Persönlichkeit. Dieser Kunsthistoriker, der die
Werkzeuge seines Berufs handhabt wie wenige,
liebt das Endgültige. Er hat einmal mit seiner
klaren, bestimmten, anschaulichen Sprache gesagt,
daß die vornehmste Aufgabe des praktischen Kunst-
gelehrten in der Bestimmung von Meistern und
Kunstwerken besteht. Dieser Grundsatz hat ihn
zu der Autorität gemacht, die überzeugender als
jede andere die Werke alter Meister, vor allem die
der Deutschen und Niederländer, zu bestimmen
weiß, die jedem Meister zuteilt, was ihm zukommt.
Dort, wo die meisten versagen, glänzt er; nicht
nur so im allgemeinen und theoretischen kennt
er die Kunst, er kennt sie höchst konkret und
kennt darum auch die Beziehungen. Uberlegen
ist er, weil er sich ein Leben lang um die Qualität
bemüht hat, um das, was jenseits des Stils den
Kunstwerken Wert und Dauer verleiht. Wer so
in den Kern vordringt, braucht nur noch die
äußeren Tatsachen zu wissen, um auch die Zu-
sammenhänge zu sehen. Das ist noch zu wenig
bekannt und wird zu wenig anerkannt, weil der
Sinn für Qualität eine Begabung ist, die verhältnis-
mäßig selten ist und die zudem eine Disziplin
fordert, der auch nicht viele fähig sind.

Mit diesem systematisch ausgebildeten Sinn für
das Wesentliche hängt es zusammen, daß Fried-
länder kurz schreiben kann. Er sagt kein Wort
mehr als nötig ist, seine Wortknappheit geht bis
zur Wortkargheit, doch haben seine Worte Farbe
und sinnliche Richtigkeit. Er formuliert lapidar,
sein ganzes Wesen ist präzis. Ist aber auch phan-
tasievoll. Seine Bücher, vor allem die grundlegen-
den Werke über die niederländischen Maler, ent-
zücken durch die schlagende Kürze, womit kom-
plizierte Beweisführungen zusammengefaßt sind,
durch die Klarheit und Durchsichtigkeit des Denkens
und der Sprache, durch die Lauterkeit der Methode.
In seinen Büchern gibt es keine Verschwommen-
heit, alles ist von höchster Bestimmtheit; es sind
Werke eines ganz reif gewordenen Wissens,
klassische Gelehrtentugenden werden sichtbar.
Doch sind diese Vorzüge nicht durch Kälte er-
kauft. Zwar ist in allem, was Friedländer schreibt
und sagt, etwas bewußt Verhaltenes, doch schim-
mert überall auch ein starkes Gefühl, eine keusche
und schamvoll sich verbergende Liebe durch. Wenn
Friedländer von Künstlern und Kunstwerken spricht,

die er liebt, fliegt es oft über seine Sprache wie
ein schnelles Erröten. Und das ist dann bei einer
so männlichen Darstellung von einem eigenen Reiz,
es macht das Strenge liebenswürdig und anmutig,
es bringt in das Lebenswerk etwas Ergreifendes.

Auch ein so diszipliniertes Gelehrtenleben hat
seine Romantik. Sie tritt, zum Beispiel, zutage
in der Geschichte von der Erwerbung der schönen
„Anbetung" des Hugo van der Goes für das
Kaiser-Friedrich-Museum in Berlin. Wie ein Aben-
teuer mutet es an, wenn man hört, welche diplo-
matischen Verhandlungen mit der spanischen Re-
gierung zu überwinden waren, bevor das Kloster
Monforte das Bild herausgeben durfte, welche
Vorsicht nötig war, um das Bild bei Nacht der
aufgeregten Bevölkerung zu verbergen, es auf
einem Ochsenkarren zu entführen und nach der
Hafenstadt Vigo zu transportieren, wie es dort an
Bord geschafft wurde und wie Friedländer ihm
in all der Zeit nicht von der Seite wich, bis er
es in Hamburg zur Eisenbahn gebracht, in Berlin
auf den Wagen verladen und im Museum dann
aufgestellt hatte. Und dieselbe Art von Romantik
ist in der Geschichte, wie neuerdings die Grüne-
waldzeichnungen aufgefunden und der Öffentlich-
keit gerettet wurden. Es ist immer alles streng
überlegsam und korrekt vor sich gegangen, und
es ist doch wie ein Roman.

Nicht zu übersehen ist, daß Max J. Friedländer
nach seinem fünfundvierzigsten Lebensjahre eigent-
lich erst ganz produktiv und frei geworden ist.
Es scheint, als ob er viele innere Hemmungen hat
.überwinden müssen, ehe er werden konnte was
er ist. Was er geworden ist, scheint er zum
größten Teil aber auch der hierdurch notwendig
gewordenen Selbstdisziplin zu verdanken. Sich
bändigen, sich zur Ruhe zwingen, das ist nicht
so bewunderungswürdig, denn dabei hilft einem
eigentlich das Leben auf Schritt und Tritt; sich
allen Hemmungen zum Trotz aber mit den Jahr-
zehnten freier machen, immer naiver und emp-
findungsvoller werden und spät erst wahrhaft zum
Blühen kommen: das ist ein Schauspiel, dem man
nicht ohne Teilnahme zusehen kann. Der sech-
zigste Geburtstag bedeutet für Friedländer darum
kein Wegzeichen, das abwärts weist. Dieser seltene
Mann steht auf der Höhe seiner Kraft, wenn
andere schon erlahmen; wir haben von ihm noch
eine reiche Ernte zu erwarten.

c

itcr
er v

3*4
 
Annotationen