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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 25.1927

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Heft 12
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Börger, Hans: Ein Ausflug nach Knossos
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https://doi.org/10.11588/diglit.7392#0485

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gewanderten Ureinwohner unter ihr Joch brachten ?
Wäre es eine Welle jener Sturmflut gewesen, aus
dem dann das große griechische Gesamtreich her-
vorging, von dem Emil Forrer, der begabte Berliner
Privatdozent, so Epochemachendes zu berichten
weiß, nachdem es seinem Scharfsinn gelungen
ist, die Inschriften aus ßoghazkoi in Kleinasien -
die Korrespondenz eines Hetiterkönigs aus der
Mitte des vierzehnten Jahrhunderts vor Christus —
zu entziffern ? Der Phylax führt mich mit bewun-
dernswerter Gründlichkeit von Gemach zu Gemach,
von Terrasse zu Terrasse, zuletzt auf einen hohen
hölzernen Aussichtsturm inmitten des Plateaus, von
dem man in der Tat einen überwältigenden Uber-
blick über diesen, fast einem kleinen Städtchen an
Ausdehnung nahekommenden Herrschersitz der
Vorzeit gewinnt, dann aber mache ich mich los
und streife auf eigene Faust in der Peripherie des
Palasthügels umher, wo einst die bis weit in die
Römerzeit besiedelte Stadt Knossos gestanden hat,
und wo, im Westen wie im Süden, in den letzten
Jahren einige schöne Einzelhäuser, zum Teil meh-
rere Stockwerke hoch und mit bemerkenswerten
Freskoresten, ausgegraben worden sind. In einem
dieser uralten Stadthäuser funktioniert sogar die
alte schöne Badeanlage wieder und sorgt dafür,

daß es dem Ausgrabungsstabe, der auch gegen-
wärtig mit vielen Arbeitern auf neue Entdeckungen
ausgeht, nicht an dem gewohnten Komfort fehle.

Inzwischen hat sich der Himmel vollkommen
bewölkt, es beginnt zu regnen und ich halte es für
geraten, den Rückweg nach Heraklion anzutreten.
Das Barometer ist stark gefallen und zeigt auf Sturm.
Die sommerliche Wärme ist plötzlich einer empfind-
lichen Kühle gewichen, und das Meer, gestern noch
blau und heiter, hat eine grauliche, von flaschen-
grünen Streifen durchzogene Farbe angenommen
und beginnt, vom Nordwind gepeitscht, hin und
wieder schon über die Mole zu lecken, die das
winzige, nur für kleine Segelschiffe und Ruder-
barken hinlängliche Binnenbassin der Reede vor
der Brandung schützt. Also beginnender Nordsturm!
Das bedeutet für Kreta tagelange Isolierung von
der Außenwelt, denn kein Dampfer darf es wagen,
unter solchen Umständen die ungeschützten Häfen
von Heraklion, Rethymno und Chaniä anzusteuern.
Der Handelsverkehr stockt und der Vergnügungs-
reisende, der nicht Gastfreunden gut empfohlen
ist oder ein festes Programm von Unternehmungen
vor sich hat, ist der Langeweile kleiner Provinz-
städte rettungslos ausgeliefert. Gottlob, ich an mei-
nem Teile ward gewarnt, und ich weiß, was ich will.

GERHART FRANKL, STILLEBENSTUDIE. KOHLE UND AQUARELL

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