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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 26.1928

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Heft 12
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Glaser, Curt: Corot: zu der Ausstellung bei Paul Rosenberg in Paris
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https://doi.org/10.11588/diglit.7393#0504

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CAMILLE COROT, QUELLNYMPHE. UM 1850-1855

AUSGESTELLT BEI PAUL ROSENBERG. PARIS

Nichts köstlicheres gibt es im ganzen weiten Reiche der
Kunst als diese Gestalten ruhender, ganz ihrem sinnlichen
Dasein hingegebener Mädchen, die von keinem Gedanken,
nicht von einem eigenen und nicht von einem Gedanken
ihres Schöpfers angekränkelt scheinen, die irgendwo sitzen
oder liegen, bekleidet oder nackt, mit nichts beschäftigt als
ihrem pflanzengleich lieblichen Dasein, Wesen der Wirk-
lichkeit, die ein Maler, der mit Farben zu dichten verstand,
in die überwirkliche Sphäre der Kunst erhoben hat. Es gibt
keine Worte, die Vollkommenheit dieser kleinen Gedichte aus
Farben zu beschreiben. Die Sprache bietet kein Mittel, den
Zauber dieser Blüten zu entblättern. Das letzte Geheimnis
ihrer Wirkung bleibt unaussprechlich unausgesprochen.

Man mag von der Sparsamkeit der Pinselstriche reden,
die immer ein Zeichen großer Kunst ist, von der Sicherheit,
mit der die Töne gesetzt sind, von der Harmonie der weni-
gen Farben, die diese Palette brauchte, von der Festigkeit,

mit der diese Formen gestaltet sind, die wie gemauert in
der Fläche stehen. Man mag an den Delfter Vermeer er-
innern, den einzigen dem Unvergleichlichen Vergleichbaren,
an Renoir, der mit anderen farbigen Mitteln eine ähnliche
Welt zu verwirklichen unternahm, das Eigentliche dieser
Kunst enthüllt sich nur dem Auge, und es scheint, als seien
unsere Augen gerade heute auf eine merkwürdige Weise
bereit, den Zauber dieser kleinen Köstlichkeiten zu genießen.
Man hat in den letzen Jahren viel von Ingres gesprochen.
Man fühlte sich von seiner klassischen Zeichnung angezogen.
Aber der Maler Ingres hat es einem nicht immer leicht ge-
machr, dem Zeichner Ingres gerecht zu werden. Hier ist
ein Maler, der die vollkommene Zeichnung in der voll-
kommensten Malerei selbst verwirklichte, der eine Sehnsucht
unserer Zeit erfüllt, und der uns darum so gegenwärtig ist
wie vielleicht kein anderer Maler der Vergangenheit.

Glaser.

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