Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 27.1929

DOI Heft:
Heft 9
DOI Artikel:
Grossmann, Rudolf: Kubinsche Gespenster
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7608#0392

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
sucher hastig und mit gesteigertem Ausdruck.
Manchmal überrascht ein schlauer, bäuerischer
Seitenblick und ein gesunder Nacken. So nor-
mal, behäbig, bürgerlich wie der ihm geistes-
verwandte Ensor ist er aber nicht.

Um auf seine Träume zurückzukommen:
Er hat einmal einen Roman „Die andere
Seite" geschrieben, in dem er symbolhaft
einen Traumstaat schildert. Die Bilder kom-
men ihm darin fast ebenso ungehemmt, sich
überstürzend, mit derselben Schnelligkeit und
Vielgestaltigkeit, wie im wirklichen Traum.
Vielleicht ist der Unterschied zwischen Wachen
und Träumen bei ihm gar nicht so groß. Trifft
ihn der ihm schmerzliche Reiz der Welt, so
geht die Empfindung sofort automatisch mit
vielen Erinnerungsbildern, die er durch eine
buddhistisch fakirhafte Einstellung sich jeder-
zeit fast virtuos aus dem Keller seines Be-
wußtseins holen kann, Verbindungen ein —
ganz ähnlich wie im echten Traum.

So kommt es, daß seine Feder über das
Papier huscht, hüpft, sich manchmal über-
stürzt und jene traumhafte Unbeschwertheit
hat, die die Phantasie mit Andeutungen an-
regt und vorbereitet.

Manchen kommt bei diesem gespenstischen
Totentanz das Gruseln. Die Zeichnungen kom-
men zudem dem Bedürfnis unserer Zeit nach
Mystik zeitgemäß entgegen.

Aber Picassos Mystik ist unserer Zeit viel-
leicht mehr angepaßt. Seine betonten Kon-
trastflächen, vereinfacht nebeneinandergesetzt,
wo, zugunsten der geschlossenen Einheit,
Formteile abgebrochen werden, machen mehr gruseln, weil
sie weniger gegenständlich und legendärer sind, weil sie
wie mechanisierte und automatisierte Schemen und Grimassen
in einem abstrakten Raum sind. Sie erinnern manchmal an
Erscheinungen bei okkulten Sitzungen, wenn durch das Zwie-
licht des Raumes ein sogenanntes Pseudopodium (verlängertes
Tastorgan) geradlinig vorstößt, wenn Schatten von Gegen-
ständen, die durch den Raum fliegen, sichtbar werden. Hinter
dem Maschinenhaften, Automatischen versteckt Picasso seine
Person mehr als Kubin — wie auch das Medium in der Sitzung
hinter seinen Emanationen, die den Spuktanz aufführen, ver-
dämmert — gleichgültig, ob es wirklich Spuk ist oder nicht.
Die Bilder Picassos und die okkulten Phänomene haben den
Grad von Wirklichkeit, den wir ihnen in unserer Wunsch-
einstellung geben, in unserm Zeitbedürfnis nach Mystik und
Maschine. Diese scheinbaren Gegensätze verschmelzen hier.
Die Geister, die wir beschwören und sehen wollen, sind da
— wir werden sie nicht mehr los.

Kubin ist in dem Ausdruck seiner Gesichte altmeister-
licher, unmoderner. Mit seinen Phantomen kann jeder reden.
Kubin ist Österreicher und lebt seit langem in Osterreich,
ganz einsam auf einem verfallenen Schloß. Er ist der Be-

RUDOLF GROSSMANN, BILDN1SZEICI-INUNG A. KUBIN

schwörer der österreichischen Gespenster; sein Oeuvre ist
eine Sammlung aller ihrer Gattungen und Varietäten: von
der spielenden Kinderlarve bis zur aufgedunsenen Wasser-
leiche, vom spukhaften Grenzaufseher bis zum schnurrbart-
gesträubten Totentanzgeneral, vom gemütlich bürgerlichen
Wamperl bis zum höllischen Hexenmeister. Er zeigt wie
es beim Österreicher hinter der nonchalanten Entspannung,
hinter der Wurstigkeit, hinter der Larve der Bonhomie ge-
spensterlt und dämonerlt; er entdeckt ihm und uns in über-
zeugender Weise seine vierte Dimension.

Anmerkung der Redaktion: Zeichnungen von Kubin
waren in der Modernen Galerie Wertheim ausgestellt. Die
Auswahl wäre vorzüglich gewesen, wenn die Folge der
Passion weggeblieben wäre. Damit überzeugt Kubin nicht,
da er, ohne es zu wollen, die Travestie streift. Da galop-
piert sein Pferd „Ali" ganz anders spukhaft durch eine reich
imaginierte Welt! Der Gesamteindruck war wieder, daß es
erstaunlich ist, wie dieser Zeichner es versteht, dauernd in
einer solchen Welt der Unwirklichkeit zu leben, wie frei
er bleibt von Schematisierung, Manier und Professions-
mäßigkeit. Es ist alles echt bei Kubin — das Geglückte
und darum Überzeugende und auch das weniger Geglückte.

363
 
Annotationen