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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 27.1929

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Heft 12
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Herrmann, Wolfgang: Alte und neue Baukunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.7608#0509

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ALTE UND NEUE BAUKUNST

VON

WOLFGANG HERRMANN

Baukunst ist Mode geworden. Gewiß — und das wurde
schon oft gesagt — bedeutet dies eine Gefahr für den
neuen Baustil. Aber schließlich auch nur dann, wenn es
modischer Snobbismus ist, der die Baukunst plötzlich in den
Mittelpunkt eines oberflächlichen Interesses stellt. Wenn
aber ernsthaftes Verständnis und freudiges Gefühl an der
Schönheit und dem Wert der Baukunst sie populär macht,
wenn weite Schichten ihre Entwicklung verfolgen, das Ver-
langen haben, Kritik zu üben und Kritik zu hören, so stellt
es eines der ersten Anzeichen für die Verwurzlung des neuen
Stils in der gesamten Kultur dar.

Ein solches weitgehendes Interesse, gewissermaßen eine
Mitarbeit auch der nichtfachlichen Welt, hat nie geschadet. Der
Barock mit seiner überaus starken baukünstlerischen Pro-
duktivität ist ein Beispiel dafür. Denn auch im achtzehnten
Jahrhundert fand dieses Laieninteresse seinen Niederschlag
in einer reichen Literatur — es wurde damals fast so viel
geschrieben wie gebaut — und so wäre es wohl auch heute
verkehrt, aus dem Vorhandensein einer theoretisierenden
und beschreibenden Architekturliteratur ohne weiteres auf
die Impotenz der lebendigen Architektur zu schließen.

Allerdings blickten diese Zeiten nur höchst selten auf
Vergangenes zurück. Die rein historisierende Einstellung des
neunzehnten Jahrhunderts ist offensichtlich gefährlich ge-
wesen, aber dies berechtigt durchaus noch nicht zu der Ver-
dammung jeder historischen Einstellung überhaupt. Ver-
gangenes ist vergangen, von vergangenen Zeiten wirkt auf
den schaffenden Künstler nur noch das wenige ihm Ver-
wandte und von diesem nur das Beste. Was soll — so
könnte es scheinen — denn eine historische Interpretation,
eine Wiedergabe der Entwicklung vergangener Kunstepochen
überhaupt noch für einen Sinn haben? Sinnlos ist sie je-
doch nur, wenn sie rein historisierend ist, wenn das einzige
Ziel die photographische Wiedergabe dieses Ablaufs ist. Wenn
aber versucht wird, mit den Mitteln der Kunstwissenschaft
aus den Kunstwerken heraus den Kampf, die Spannung, die
Erschlaffung, das Wiederaufleben wiederzugeben — den
ewigen Kampf um das Ideal des reinen Kunstwerkes, der
ewig ist und zu allen Zeiten verschieden versucht wurde,
dann hat Historie einen Sinn — den Sinn, einer auch kämp-
fenden Gegenwart die Wege einer Vergangenheit darzulegen.
Mögen diese Wege heute ganz andere, ganz neue sein, der
Kampf und auch das Ziel, um das es geht, sind die gleichen.

Den Versuch, einen kunstgeschichtlichen Vorgang so
wiederzugeben, hat vor kurzem Fritz Stahl in seinem letzten
kleinen Werk über Paris gemacht. Er gibt keine im rein
Stilistischen steckengebliebene Kunstgeschichte der Stadt,
sondern läßt ihr Werden und Wachsen durch die Jahrhun-
derte hindurch, diese eigenartige Konsequenz ihrer Entwick-
lung, die Widerstände und ihre Überwindung wieder auf-
leben an Hand der Bauten, Straßen und Plätze, die das Ge-
sicht von Paris ausmachen. Getragen von einer tiefen Liebe
zu dieser Stadt bringt er dem Leser ihre unvergleichliche
Schönheit in einer Weise nahe, die fast den Zweifel an

ihrem vorbildlichen Wert verstummen läßt. Denn diese rein
formal schöne Stadt — und ebenso das Stahlsche Buch —
sind im Grunde der neuen Baukunst gefährlich. Unvergleich-
lich schön ist Paris, aber wir sind heute weit ab von dieser
nur ästhetisch-formalen Lösung des Städtebaus. Vorbildlich
für uns ist die Konsequenz der in Paris durch Jahrhunderte
durchgeführten städtebaulichen Ideen — gefährlich und geist-
los ist es aber, wenn ihre formale Durchführung in Städten
des zwanzigsten Jahrhunderts zum Vorbild genommen wird.
Amerika — allmächtig in den Mitteln — ist auf dem besten
Wege, seine künstlerisch wie ökonomisch gänzlich anderen
Bedingungen unterworfenen Großstädte in ein dimensional
vergrößertes Paris zu verwandeln. „Eine Stadt als Kunst-
werk" — der Untertitel des Stahlschen Buches — kann nie,
auch nicht in seinen Teilen, wiederholt werden.

Es ist dies nur ein Symptom von der Unausgeglichenheit,
dem Zwiespalt, an dem Amerika leidet. Zwiespältig des-
wegen, weil ein Land, das fast gar keine künstlerische Tra-
dition besitzt und dessen geistige Einstellung eminent kunst-
feindlich ist, mit allen Mitteln versucht, eine Kunsttradition
gewissermaßen nachträglich zu schaffen, nachträglich sich
aufzupfropfen. Und Europa wiederum krankt an der — leider
zum toten Ballast gewordenen — künstlerischen und kultu-
rellen Tradition, die es mit dem modernen Leben nicht in
Einklang bringen kann. Europa blickt nach Amerika, dessen
scheinbar ähnlich gearteten, wenn auch mit umgekehrten
Vorzeichen ausgestatteten Zwiespalt es fühlt.

Und doch wird „Europa... fernere Weltgeltung nur haben,
wenn es sich auf seine eigentlichsten Grundlagen zurückzieht".
Das ist der Mahnruf eines unserer klügsten Architekten,
Erich Mendelsohn. „Rußland — Europa — Amerika" (Ber-
lin 1929) heißt sein neues Buch, eine Art Fortführung des
älteren Werkes „Amerika". In knappen, ein wenig zu sehr
vereinfachten Antithesen und in schönen, genau auf den Text
berechneten Abbildungen werden Rußland und Amerika, die
beiden Antipole, einander gegenüber gestellt — „Das Irdische
und das Göttliche" —, beider Mängel klar erkannt und Eu-
ropas Mittlerrolle gefordert. „Zwischen diesen beiden Willens-
polen, Amerika und Rußland, wird Europa vermitteln, wenn
es sich auf sich selbst besinnt und sich solidarisch ver-
kettet, wenn es Maß hält, Idee und Gehirn, Geist und Ver-
stand zum Ausgleich bringt."

Noch immer aber überwiegt die Meinung, unsere Ent-
wicklung sei der amerikanischen gleichgeartet, wenn auch
zurückgeblieben. Und während es das einzige Vernünftige
wäre, die ganz einzigartigen europäischen Verhältnisse und
die europäische Kultur zu stärken, zu stützen, zu betonen,
werden alle Wege geebnet, um — eine Unmöglichkeit —
eine amerikanische Entwicklung zu beschleunigen.

Deshalb ist es ein großes Verdienst von W. C. Behrendt,
daß er die Erfahrungen seiner amerikanischen Studienreise
über „Städtebau und Wohnungswesen in den Vereinigten
Staaten" in einem Buch niedergelegt hat. Die ungeheuer-
lichen Mängel auf diesen Gebieten werden — belegt durch

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