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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 28.1930

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Heft 4
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Wescher, Paul: Kunstausstellung und Kunstbetrachtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.7609#0178

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TH. TH. HEINE, FIDELES GEFÄNGNIS

KUNSTAUSSTELLUNG UND KUNSTBETRACHTUNG

VON

PAUL WESCHER

So sehr sich Kunstmuseen und Kunstausstellungen in ihrer
äußeren Anlage gleichen, so wenig sind sie ihren inneren
Forderungen nach zu vergleichen oder zu vereinigen. Denn,
während es widersinnig wäre das zu Sammelnde nicht a priori
als Wert anzusehen (ganz gleichgültig, ob es im Einzelfalle
hernach seine Gültigkeit behält oder nicht), ist das aus-
gestellte Kunstwerk gerade als Wertbegriff noch unent-
schieden. Damit ändert sich die Schaubarkeit grundsätzlich
in Ausstellung und Sammlung. Denn da die Wertempfindung
im ideellen Sinn das Kunsterlebnis letzthin begründet,
so stellen sich alle Probleme der Betrachtung hier und dort
von ganz verschiedenen Blickpunkten dar.

Alfred Lichtwark hat einmal von der „ UnWirklichkeit"
der Ausstellungen gesprochen. Und in der Tat besitzen die
ausgestellten Objekte ja keine real umrissene Existenz wie
jene in Museen oder Sammlungen. Sie sind nur da, um
gewertet, erhoben oder (zumeist für immer) verworfen zu
werden. Es sind auch keine bleibenden, sich wiederholen-
den oder wiederholbaren Erlebnisse, die gewöhnlich vom
Grund der Ausstellungen auftauchen. Und dieser Umstand
verleiht einerseits allen ihren Äußerungen eine gewisse ge-

steigerte Heftigkeit. Andererseits fehlt ihnen jene stabile
Grundhaltung, die das Wesen der musealen Eindrücke be-
stimmt.

In Museen und Sammlungen nämlich wird der Vorgang
der Betrachtung dadurch vereinfacht, daß die Objekte ge-
wissermaßen auf einer — hypothetischen — Ebene liegen
und so zu begreifen sind. (Dem Begriff des Museums ist
ja mehr oder weniger deutlich der Gedanke der Ewigkeits-
ebene untergelegt.) Indem wir hier ein Kunstwerk be-
trachten, antizipieren wir bereits einen Wertbegriff, dem
ein festgesetztes, eindeutig bestimmbares Verhältnis des Be-
schauers zum Objekt scheinbar unveränderlich zugrunde liegt.
In den Ausstellungen dagegen mangelt es an einem norm-
baren Wertbegriff, weil es, innerhalb gewisser Grenzen,
einen ähnlich feststehenden Standpunkt der Betrachtung er-
klärlicherweise noch nicht gibt.

Es ist etwas Turbulentes im Charakter großer Kunstaus-
stellungen wie bei einem Tumult, bei dem gleichzeitig viele
Stimmen laut werden. Die Stimmen der Masse. Denn die
Ausstellung besitzt ja auch in Wirklichkeit Masseneigen-
schaften. Hier sind nicht nur wie in Museen wenige aus-

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