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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 28.1930

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Heft 9
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Basler, Adolphe: Modigliani
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https://doi.org/10.11588/diglit.7609#0382
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A. MODIGLIANI, SITZENDE ERAU

MIT ERLAUBNIS DER D.U. A.

nem Talent hatte er alles, um zu entzücken. Er
war sehr rassig und hatte eine natürliche, unbe-
fangene Kultur. Man traf ihn nie ohne ein Buch
in der Tasche an. Er las viel und mischte sich
gern in Diskussionen über Literatur, über Kunst
und selbst über Philosophie. Er hat nicht auf die
Surrealisten gewartet, um denComte deLautreamont
zu entdecken; und eines Tages hob Andre, der
Kellner des Dome, nachdem er Modigliani aus
dem Cafe, wo er, vollständig betrunken, Gäste be-
schimpfte, entfernt hatte, die Chants de Maldoror,
die Modigliani aus der Tasche gefallen waren, vom
Boden auf. In seinem Atelier, Cite Falguieres, be-
merkte ich in allen Winkeln Bücher, — italieni-
sche und französische Werke: die Sonette von

Petrarca, die Vita Nuova, Ronsard, Baudelaire, Mal-
larme und auch zahlreiche philosophische Schriften.
Er ist wirklich ein angenehmer Gesellschafter ge-
wesen.

Leider verschlimmerte sich Modiglianis Lage
einige Monate vor dem Kriege. Er hatte die Cite
Falguieres verlassen, um ein ganz kleines Atelier
am Boulevard Raspail zu beziehen. Das Elend
dieses Ateliers war erschütternd. Die ganze Ein-
richtung bestand aus einer Matratze und einem
Krug. Der Künstler arbeitete im Hofe. Hier be-
arbeitete er mit seinen Werkzeugen den Stein, aber
der Anblick eines nüchternen Modigliani wurde
immer seltener. Um seinen Lebensunterhalt zu
verdienen, begann er das Porträt aller jener zu
zeichnen, die ihm aus Gefälligkeit sitzen wollten;
aber den Franken, den er für eine Zeichnung ein-
gesteckt hatte, setzte er sogleich in Alkohol um.
Der Wein machte ihn zanksüchtig und oft wurde
er geradezu boshaft. Er brachte nun die Kneip-
wirte zur Verzweiflung. Seine Freunde, an seine
Ausschreitungen gewöhnt, verziehen ihm, aber die
KafFeehausbesitzer und die Kellner, die ja gemein-
hin nicht aus dem Stande der Künstler oder Lite-
raten hervorzugehen pflegen, behandelten ihn wie
einen gemeinen Trunkenbold. Eines Tages schleppte
er mich in die Rue Buci, wo er ein Rendezvous
mit Martin Wolf, dem Angestellten des Antiquars
Brummer, und einer englischen Dichterin hatte.
Dieser Martin Wolf, eine richtig Hoffmannsche
Erscheinung, putzte tagsüber die Negerplastiken
und die ägyptischen und griechischen Bildwerke
in Brummers Laden und am Abend spielte er den
Künstler. Elend und krank wie er war, konnte
er sich kaum auf den Beinen halten. Er trank
nicht, sondern leistete Modigliani Gesellschaft, der
eben seiner Dichterin eine Eifersuchtsszene machte.
Ein anderes Mal mußte ich Modigliani beistehen,
als ihm ein betrogener Liebhaber den Schädel ein-
schlagen wollte. Es handelte sich um eine Frau,
Gaby genannt, die vor dreißig Jahren im Quar-
tier Latin ihrer Schönheit wegen sehr berühmt
war. Ich selbst habe sie vor achtundzwanzig Jah-
ren in der Taverne du Pantheon getroffen. Und
zwanzig Jahre später war diese schöne Gaby noch
immer reizvoll. In Gesellschaft häßlicher und bos-
hafter Frauen zeigte sie sich gutmütig, und es
fehlte ihr nicht an Geist. Sie liebte auch Modi-
gliani. Ihr Freund, ein Advokat ohne Klienten,

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