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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 29.1931

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Heft 1
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Tietze, Hans: Ein neuer Altdorfer in der Wiener Galerie
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https://doi.org/10.11588/diglit.7610#0065

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EIN NEUER ALTDORFER
IN DER WIENER GALERIE

VON

HANS TI ETZE

Die Wiener Galerie hat, seit sie der Umsturz zu
einer staatlichen Sammlung gemacht hat, in
der mehr planmäßigen Ergänzung ihrer ohne System
zusammengekommenen reichen Schätze eine neue
Aufgabe erhalten; sie hat sich seitdem die südost-
deutsche Malerei, aus der eine bodenständige öster-
reichische Schule hervorgegangen ist, besonders an-
gelegen sein lassen, die Donauschule hat hier ihr
natürliches Zentrum gefunden. Zu den zwei vor-
trefflichen Bildern Altdorfers, die sie von alters her
besaß, hat sie in diesem Jahrzehnt sechs weitere
aus den verschiedensten Phasen seines Schaffens ge-
fügt; das jüngst erworbene, das sich bereits seit
einiger Zeit als Leihgabe in der Galerie befand,
stammt aus der Zeit, in der es Altdorfer, sonst mehr
der Bewältigung kleinerer in sich geschlossener
Aufgaben zugewandt, trieb, sich auch an ausge-
dehnten Werken zu versuchen.

Diese Auferstehungstafel hält sich mit ihren
84x35 cm allerdings auch innerhalb der beschei-
denen Ausmaße, die dem Künstler am meisten
lagen, aber sie gehört zu einer Gruppe von vier
kleinen Bildern, die wahrscheinlich ursprünglich
als Staffel des mächtigen Flügelaltars dienten, von
dem sich zwölf große und farbenstarke Tafeln
noch am ursprünglichen Bestimmungsort, dem Stift
St. Florian in Oberösterreich, befinden. Diesen
großen Tafeln verleiht die für Altdorfer unge-
wöhnliche Vergrößerung des Formats etwas Fremd-
artiges, in den kleinen aber entfaltet er seine per-
sönlichste Besonderheit. Das eine Paar, mit dem
Bildnis des knienden Stifters, des Propstes Peter
von St. Florian, und den beiden Heiligen Margaretha
und Barbara — wozu das Staedelsche Institut eine
Zeichnung besitzt — sind noch im Stift, von dem
anderen Paar ist die Grablegung Christi schon vor
einigen Jahren in die Wiener Galerie gelangt, vor
einigen Monaten nun auch die Auferstehung, die

das für das ganze Werk gültige Datum 1518 trägt.
Zwei von Anfang an zusammengehörige Tafeln
sind jetzt wieder vereinigt worden.

Die beiden Bilder sind eine Einheit. In der hohen
Höhle, in der die Marien und Jünger den Leich-
nam des Herrn zur Ruhe gebettet haben, geht die
Auferstehung vor sich; durch den großen Rund-
bogen der Öffnung blickt man in die gleiche weite
Landschaft, in der sich ein gewaltiges Bergmassiv

— dem oberösterreichischen Traunstein ähnlich —
erhebt. Aber während in der Grablegung eine Abend-
stimmung obwaltet, die die Farben süß und schwer
macht, zucken um die Auferstehung die Zauber
einer Nacht, die nicht wie andere Nächte ist.
Weißumwallt steht der auferstandene Heiland auf
dem braunroten Stein des Sarkophags; am goldenen
Feuerschein seines Hauptes entzündet sich ein
Himmel, aus dessen Purpurflut phantastische Meere
und Gebirge aufzutauchen scheinen. Nach der an-
deren Seite flutet das Licht über die bunten Engels-
gestalten und die verwogenen Landsknechte, die
bei ihrer Wache dumpf und schwer entschlafen
sind; braungold und graugrün sind die beiden vor-
dersten, links starrt einer in kalter Eisenfarbe,
während am Eck des Sarkophags einer seiner wider-
strebenden Glieder Herr zu werden sucht. Hinten
hat sich der Rest der Mannschaft im Nachtgrün
der Bäume ein Lagerfeuer angezündet.

Die Gesamtordnung des Bildes — mit der korre-
spondierenden Vor- und Rückbewegung der als
Repoussoirs dienenden beiden Gestalten ganz vorn

— folgt der Anregung, wie sie Dürer — etwa im
Holzschnitt der kleinen Passion — gegeben hatte.
Aber der Aufbau aus Menschenleibern ist hier in
das tiefe Naturerlebnis aufgelockert; Passionsszene
und nächtliche Landschaft sind das einheitliche Er-
lebnis eines empfindungstiefen Malerpoeten.

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