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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 31.1932

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Heft 9
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Szecsi, Ladislas: Marc Chagall
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https://doi.org/10.11588/diglit.7616#0339

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er über dies und jenes denkt, so hat er für jede Frage eine Antwort,
aber sobald ich an das Geheimnisvolle rühre, das ich in ihm ahne, das
ich so gern von ihm selbst erklärt haben möchte, kann er mir nichts
sagen. Es sind eben Grenzen in seinen Argumenten, hier bin ich an einen
Punkt gelangt, auf den er keine Antwort findet; aber gerade an diesem
Punkt beginnt für mich das Ungreifbare, dieses Element ist es, das mich
packt.

„Ich will nichts in meinen Bildern ausdrücken, ich verfolge keine be-
stimmten Ideen dabei, kein Programm!" Ja, er will nichts ausdrücken,
und gerade weil keine bestimmte Richtung, keine Theorie vorliegt und
in dem Werk keine vorgefaßte Idee zutage tritt, bekommt unsere Phan-
tasie, unser heiteres Genießen freien Spielraum. Jeder Beschauer kann sich
diese Bilder, wie es ihm gefällt, übersetzen, kann Tausende von Sujets
darin finden, kann sich aus ihrer Realität eine Welt von Träumen und
Geheimnissen erschaffen. Es ist nicht der Vorgang, der Chagall inspiriert,
ebensowenig sind es Farben oder Formen; es sind die Empfindungen,
die der Anblick der Natur oder der Objekte bei ihm auslöst. Diese Emp-
findungen formen sich in einer intimen Konzeption, in einem schöpfe-
rischen Akt. Diesen dann festzuhalten, ihn in einem Bilde zu gestalten,
ist für ihn das Sekundäre. Er tut es ohne eine bestimmte Idee, ohne sich
einer Schule anzuschließen, ohne mit der Form zu kämpfen. Er malt mit
der größten Leichtigkeit; denn Malerei ist bei ihm nur die Übersetzung
jener Empfindung, die sich schon vorher bei ihm intuitiv gestaltet hat.
Die Technik interessiert ihn nicht, er legt keinen Wert daraufi Er hat das
Malen nie gelernt, und als er einmal ein Malatelier besuchte, hielt er es
dort kaum drei Wochen aus. Für ihn ist die Malerei nur ein Ausdrucks-
mittel. Denn der Hauptpunkt ist die Empfindung, die in uns geboren
wird, die menschlich ist, und die dem Kunstwerk erst seinen Wert
verleiht.

Wenn er in seinem im Park gelegenen Hause, der Villa Montmorency,
zum Besucher spricht, so werden seine Augen größer und größer, ein
innerliches Feuer durchleuchtet sie, seine Hände bewegen sich, als ob sie
den Zeichenstift führen, seine Stimme hat einen warmen Klang, und
ein lebhaftes Minenspiel begleitet jedes seiner Worte. Man hat den Ein-
druck vollster Aufrichtigkeit, und die Unterhaltung scheint ihm Ver-
gnügen zu machen.

„Ich liebe die Menschen, ich bin gern heiter." Das sind seine Worte.
Auf dem Grunde seiner Seele ist er naiv. Wenn er lächelt, ist es der
Ausdruck seiner Lebensfreude. Und doch liegt für mich in diesem Lächeln
ein Schimmer von Traurigkeit.

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