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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 31.1932

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Heft 9
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Born, Wolfgang: Die Kunst im Lebensraum des neuen Rußland
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https://doi.org/10.11588/diglit.7616#0344
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Die Kunst im Lebensraum des neuen Rußland

von WOLFGANG BORN

Das Kunstschaffen im Vorkriegsrußland war nicht einheitlich, wie das
der westeuropäischen Länder. Es gab eine mehr oder weniger erstarrte
Kirchenkunst auf altbyzantinischer Grundlage. Daneben existierte eine
noch ältere Kunstübung: die Bauernkunst. Sie reichte mit ihren Wurzeln
bis in die vorchristliche Epoche der russischen Geschichte zurück und
hatte sich unter den urtümlichen Daseinsbedingungen des russischen Dorfes
überraschend lange lebendig erhalten. Die dritte selbständige Kunstschicht
war die profane Kunst der Städte. Sie war die jüngste. Erst Peter der
Große hatte sie aus dem Westen importiert, und ihren Charakter als
Lehngut hat sie nie verleugnet. Sie blieb kosmopolitisch, allen Versuchen
der Slawophilen zum Trotz, sie durch Zufuhr historischer Stilelemente
zu nationalisieren. Nur während der ersten zwei Drittel des neunzehnten
Jahrhunderts gab es in der Malerei eine volkstümliche Unterströmung,
die abseits der Akademien von den jungen Schichten des Mittelstandes ge-
pflegt wurde.

Das Musealwesen hatte gegenüber dem Westen eine gewisse Verspätung
einzuholen. Doch wurde auch da schon Bedeutendes geleistet. Ganz zu
schweigen von der aus dem achtzehnten Jahrhundert stammenden Eremi-
tage in Leningrad, die im wesentlichen eine persönliche Schöpfung Katha-
rinas der Zweiten war, haben sich im neunzehnten Jahrhundert in erster
Linie bedeutende ethnographische und kulturhistorische Sammlungen ge-
bildet. Aus den Schatzkammern der Klöster entstanden prachtvolle Museen
kirchlicher Kunst. Die Ikonenmalerei wurde im wahrsten Sinne des Wortes
wiederentdeckt, vor allem, seit den Altgläubigen im Jahre 1905 das Recht
auf freie Religionsübung zugestanden worden war. Sammler und Gelehrte
nahmen sich dieser Werke an, die unter dicken Schichten von Schmutz
und Ubermalung versteckt waren. Allerdings war die Forschungs- und
Restaurierungsarbeit durch Rücksichten auf den Kultus eingeschränkt. — Ein-
zelne Privatsammler, wie Schtschukin und Morosow in Moskau, vereinigten
in ihren Privatgalerien eine Fülle von Meisterwerken der modernen französi-
schen Kunst. An den skythischen und griechischen Funden Sibiriens und
Südrußlands bildete sich eine bedeutende Schule von Archäologen heran.
Die Revolution ließ zunächst die Kunstverwaltung in den Händen der
Fachleute. Durch die Verstaatlichung des privaten Kunstbesitzes vergrößerte
sich der Umfang der Museen rapide. Der revolutionäre Idealismus for-
derte die Zugänglichmachung des öffentlichen Kunstbesitzes für die Massen,
was durch zielbewußte kunsterzieherische Arbeit von Seiten der Kunst-

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