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Iö4

Schreiben des Raren« von Prudetwitz an den Aaron
von Strudelwitz.
Oksr Lrron! Angewurzelt, versteinert, stupökait, consternirt, Schlag
auS blauem Himmel, anöanti! Was fällt Oesterreich ein? Am 9. August
noch in Frankfurt gewesen, wo Alles ruhig, Bundestag in höherm Schnar-
chiSmuS, Stadt bis zu Kannegießer-Gasse auSzestorben, Saison morts; am
16. August Ameisenhaufen, Taugicl, Begeisterung, in jedem Hotel Fürsten,
Glanz von Uniformen und Lakaien. Stadt so voll, daß mehrere Minister in
Bedientenstubcn und Geheimräthe in Portierloge untergebracht. Preise
horrible! Frankfurter wollen Kaiserschnitt machen und denken, daß wo
Fürsten, auch mit Kronen bezahlen können. Unter andern Umständen
würde von legitimem Anblick enchantirt gewesen sein; so aber frage: waS soll
ganze Geschichte bedeuten? — Ucbcrraschung, Ueberrumpelung — um nicht
zu sagen: Perf-
Pcrfccte Täuschung, Ueberlistung, paar ns pas ckirs.- Verra-
Verrannte deutsche Affaire nur Vorwand zu Agitation gegen »nS, um
nicht zu sagen: zu Spekulation auf allgemeine Mi-
Miserable süddeutsche Presse benutzt genialen Coup, um gegen uns Gift
zu spritzen und sich in derwischhaftcn Rausch zu versetzen. Bagage! Speichel-
lecker, Schwcifwcdler, Trabanten, bezahlte Scribler und Hurrahschreier,
imperialistische Creaturen, GesinnunzSsälscher!
Worauf, frage, läuft ganze Lombinaisoa hinaus? — Constitutionelle
Falsific-tionen, Minoritäts-Herrschaft, Parlamentarismus, Liberalismus, Con-
cordat, österreichische „Constantia" — aus Römer! Kaiser-Komödie, Ro-
mantik, mittelalterlicher Traum, sagenhafter Glanz, KrönungS-Scenen, Ritter,
Knappen und Hofnarren! Auf Bulle! Erster Act — Hintergrund
PariS; zweiter Acr — Hintergrund Rom; dritter Act — Hintergrund
Krönungssaal zu Frankfurt; vierter Act — Hintergrund Ungarn und
Polen; fünfter Act — Hintergrund Venedig!
Will Baronie verlieren, wenn nicht richtig getroffen! — Werde Zeit
brauchen, ehe ganzen Humor von Weltgeschichte verdaue! Parlament von
Fürsten! Schützenkönig auf äußerste Linke, auch Waldeck dazwischen!
Turnjackobiner und Salbadenser auf Berg, und Roggenbach als neuer
RobcSvierre in Convent!
Kuhblumen-Trödel, tricoloristischer Scandal, Delegirten - Projectirerei, Re-
präsentantaliden-Quälerei! Vertreter auS deutsche Kammern gewählt! Also
Schultze, Waldcck und Virchow für deutsches Parlament möglich? Sehe
Unterschied nicht ein zwischen neues Project und glücklich überwundene ReichS-
versaffung — außer eben Fürsten-Parlament.
Fürsten sollen in Commissionen arbeiten! Hahaha! Fraktion Sippe und
Fraktion Reuß-Greiz-Vaduz-Buxtehude machen Beschluß von Preußen
unmöglich! Hahaha! Plenarsitzung! Hessen präsidirt— Baden und Coburg
opponircn — Hessen wird ungeduldig und befiehlt Diener, Kurhut hereinzu-
bringcn, um sich zu bedecken! Lächerbar! Ncußerst komisch, aber doch sehr
ernst, und höchste Zeit, daß Ernst ernstlich fassen. Verstanden? 6ksr
smi, bitte mich nicht zu lange auf Antwort warten zu lassen.
Ihr
Prudclwitz.

Dank-Sdresse an Einen Hochweisen Senat der freien
Stadt ckranksurt.
Je tiefer uns das Auftreten der Wien er Jo urnalisten schmerzt, welche
Einen Hochwciscn Senat der Rücksichtslosigkeit gegen die Presse zeihen, desto
mehr ist cS unsre Pflicht, dankbar anzuerkennen, wie Hochderselbe, indem er
der Presse beim Fürstencongreß den Stuhl vor die Thür setzte, nicht bloß den
hoben Intentionen und Wünschen der Herren Fürsten sicherlich entsprochen,
sondern auch im Interesse zukünftiger Geschichtsschreibung gehandelt hat.
Denn wozu sollen wir die Reden der Fürsten behalten, da wir wissen, wie
leicht oft ein Fürstcnwort vergessen wird? Wozu sollen wir erfahren, wer am
bcßtcn und wer am meisten gesprochen habe, da wir doch wissen, wer in
Deutschland das Meiste zu sagen hat, wer nicht mitsprechen darf, und wer —
das letzte Wort behalten wird? Dank also Einem Hochweisen Senate, der
cS der Presse unmöglich gemacht hat, den Fürsten nach dem Munde zu
schreiben.
Der Verein klcindeutscher Literaten.

Herr Duruy, der sranzösische UntcrrichtSministcr, ist arg mißverstanden
worden. Er hat bei feierlicher Veranlassung in vergangener Woche allerdings
den kühnen Ausspruch gethan: „Frankreich ist der sittliche Mittelpunkt
der Welt —" aber er hat sofort, sich selbst verbessernd, hinzugcsctzt: „Ich will
nicht sagen, der ganzen Welt, aber jedenfalls ist cS der Mittelpunkt der
— ckemi-moncko.

Der Aaron von Strudetwitz an den Aaron von
Prudelwitz.
Lalwer-vous, ober am!! WaS kann ohne unS? Pah! Nicht so viel! —
Daß ärgerlich, sogar fatal, will allerdings nicht leugnen. Aber nur, weil
Initiative nicht von uns auSgegangen. WaS Oesterreich gibt, und noch Paar
konstitutionelle Suppenlöffel mehr, hätten auch ganz gut für parlamentarischen
Heißhunger hergeben können, ohne unS zu ruiniren. Wenn wir wollen, be-
kommt das frankfurter Drama Handlung und dramatischen Schluß; si non
— non, und ganze Komödie wird zur Farce — auf Taille!
Wozu also sich echausfiren? — Die unS dupiren wollen, können wir
nicht besser strafen, als wenn in Wahn lassen, daß ihr Plan gelungen.
Gönnen Sie also, cker ami, Jedem sein Plaisir; dem sBaicrn seine Kaiser-
knöbel, dem Schwaben seine Kaiscrwürstchen, dem Scufferhelden seinen
Zechgenossen, dem Roggenbächlein sein Geschwätz, und hochwcise Bürger-
meister die Freude, bei Tafel als Potentaten auf Kündigung zu sitzen. —
Oder haben vergessen, daß wir Heft, Brotkorb und Zollverein in Hand haben?
Attention, daß Recht habe. Die Raben, die am tollsten auf uns loShacken
möchten, werden noch so zahm werden, daß unS aus Hand fressen. WaS jetzt
noth thut, ist, daß liberale Presse — die doch 'mal leider mehr gelesen al»
unsre — in Treffen gegen Oesterreich geschickt wird. Möchte deßhalb
Rücknahme von gewisse Maßregeln anrathcn und würde mich freuen,
wenn in Witzblätter recht scharfe Satire in Wort und Bild. Bis
heut verhält sich demokratische» Federvolk leider noch zu passiv, und officiöse
Presse kann doch unmöglich reden, wie sie denkt, weil Dekors beobachten
muß. Fatablc Lage, auf Ehre! Uebrigens hoffe, daß unsere Partei — mag
kommen, wie'S kommt — gegen VolkSsympathetiker vertreten wird, da Männer
wie Krosigk, Bülow, Berirab, Oertzcn und ElSncr auS gute alte gediegene
Westphalen'sche Schule.
Jammerbares Volk, das aus solchen Zopf, wie jetzt geboten, anbeißt!
Jammerbarcr Zustand, daß angesichts von Fürstencongreß parlamentable Re-
bellion unter dem Namen „Abgeordnctcntag" sich in Frankfurt zeige»
und oppositionelle Volksdemonstration, woran, auf Ehre, nicht fehlen wird,
provocircn darf! Wette zehn Schnepfen gegen Kreuzer ReichSmünze, Laß
bürgernicisterliche Majestät von Frankfurt — wie heißt er doch? Schultze
oder Müller? — Toast auf Bennigsen auSbringen wird! — Werden
nächsten» Pendant zu Abgeordnctentag in Berlin haben! Statistischer
Congreß, worin Joppen- und Rcckrcdner durch englische Cooptation! —
Latin wieder Stoff für unsre Zeitungen, die jetzt leer und ennuyant wie
Berlin. Geister auS Paris importirt, sind wieder verschwunden, dafür aber
— waS einzige Erholung — kleiner Kobold Lucca wieder erschienen und im
Victoria-Theater Dämon Uriella. Naviffante Pracht, ganz wie in Hof-
theater, und wenn statt Kinder-Ballet erwachsene TricotS — wäre Höchste«
erreicht, waS feudaler Kunstsinn träumen kann. Auf Taille!
Ihr
Strudelwitz.

Ein zähe« Leben.
ES gibt in Deutschland ein Wesen wunderlicher Art. Dasselbe ward
am 8. Juni l8l5 todt geboren, künstlich belebt am 15. Mai 1820, ohne
Spiritus erhalten bis zum Jahre 1848, und nachdem eS gänzlich abgestorben
und begraben, aano 1850 wieder auserweckt von den Tobten und zu.einem
neuen Scheindasein berufen. Nachdem eS darauf fast gänzlich verschollen
ist, sich selbst wiederholt umgebracht, unmöglich gemacht und zehnmal
überlebt hat, ward ei anno 1863 von Oesterreich selbst für todt erklärt
und als abgeschiedener, in Auflösung begriffener Cadaver betrachtet.
Und trotz alledem und alledem lebt eS noch heut!

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