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Kladderadatsch: Humoristisch-satirisches Wochenblatt — 40.1887

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Hefte 51-55, November 1887
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G<oN Der Höfliche Wostbearnts. '^D

Frei nach der Verfügung des ReichSpostamts.

Beöer die Höflichkeit im allgemeinen.
Bekanntlich war in alter Zeit
Fast unbekannt die Höflichkeit.

Man äußerte sich kurz und gröblich
Und fand daS ganz correct und löblich;

Auch war'S von Worten nieist nicht weit
Zu einer kleinen Thätlichkeit.

Jetzt ist die Menschheit fortgeschritten,
Verfeinert haben sich die Sitten,

Man wählt und wägt ein jedes Wort,

Die Grobheit kommt nicht recht mehr fort.
Wohl stndet sie noch dann und wann
Ein Plätzchen, geht's Mann gegen Mann —
Zuweilen liebt sie, ivie bekannt,

Der Schutzmann, mehr noch der Sergeant;
Auch leistet schwer auf sie Verzicht,

Wer kühn für Recht und Freiheit ficht,

Wie dies z. B. bei Eugen
Besonders deutlich ist zu sehn —

Doch streng ist Grobheit zu verpöne»

Im Umgang mit den holden Schönen.

Ob einer Gräfin gegenüber
Du stehst, ob einer Köchin, Lieber,

Als Mann von guter Lebensart,

Geh' Weibern stets entgegen zart.

Der Bostbcamte muß besonders höflich sein.
Der Staatsbeamte auch erlaube
Sich keine Grobheit mehr, nicht glaube
Er, daß ihm die Autorität
Durch Freundlichkeit verloren geht.

Er grade soll besonders sein
Und liebenswürdig immer sein,

Damit sich jeder andre Mann
An ihm ein Beispiel nehmen kann.

Mag dies nun gelten vom gesammten
Beamtenstand, vom Postbeamten
Gilt es vor allem! Wer tritt mehr
Als er mit Damen in Verkehr?

Wohl schreibt auch Briefe dann und wann
Ein Mann, wenn er nicht anders kann,
Allein — die Hand aufs Herz! — wo bliebe
Die Post, wenn keine Dame schriebe!

Drum sei der Postniann stets bereit
Zum Dienst der holden Weiblichkeit.

Durch schmucke Uniform verschönt,

An straffe Disciplin gewöhnt,

Ist er ein halber Offizier.

Drum zeig' er sich als Cavalier,

Voll Liebenswürdigkeit verwalt' er
Von früh bis spät sein Amt am Schalter.

Ein Beispiel.

DaS war die Regel, folgen mag
Ein Beispiel. Wenn am Nachmittag
Verödet alle Schalter sind,

Naht wohl in Hast ein holdes Kind,

Ob für N. N., fragt sie beklommen,
Postlagernd' etwas angekommen.

Wie ihre zarte Stimme bebt,

Wie sich ihr Busen senkt und hebt,

Wie sie erröthet und erblaßt,

Hat gleich der Postmann scharf erfaßt.

Er sucht den Brief hervor und spricht:
„Wie süß tvird mir des Amtes Pflicht!
Wie ist es doch beglückend, Ihne»,

Als Liebesbote treu zu dienen.

Ein Brief kommt vom beglückten Mann,
Der sich Ihr junges Herz gewann.

Ihr ganzes Wesen macht mir klar:

Die erste Liebe ist's, nicht ivahr?

Beglückt, tver diesen Lippen raubt
Die ersten Küsse! Ueberhaupt,

Der ersten Liebe goldne Zeit.

Was sagt von ihrer Seligkeit
Die „Glocke" doch?" Und er citirt,

Was Schiller drüber ansgeführt
So schön a. a. O.

Die Holde trippelt dankend fort,

Wirft auf daS Postamt einen Blick
Voll tiefer Rührung noch zurück
Und spricht: „Wie nett und ritterlich,
Benahm der wackre Postmann sich.

L heil'ger Stephan, mild und gut,
Nimm unsre Lieb' in deine Hut!"

Mach ein Beispiel.

Voll wird's am Schalter gegen Sieben,
Weil viele Menschen gern verschieben,

Was ohne große Mühe man

Viel früher schon erled'gen kan».

Es bringt der Harrenden Gedränge
Die hübsche Köchin in die Enge.

Da spricht der Postniann: „Meine Herrn,
Nicht drängeln! Jeder läßt doch gern
Die Damen vor. Gib, Kleine, her!

Nein, nein, der Brief ist nicht zu schwer,
Das Porto stimmt. Also in Schrimm
Steht der Sergeant? O, das ist schlimm.
Dreihundert Kilometer sind
Das fast, mein armes hübsches Kind.

Das ist wohl eine bittre Pein,

Muß man so fern vom Liebsten sein.

Treu willst du auf ihn warten hier?

Sieh, das ist wirklich hübsch von dir.

Ja, wenn ich eine Köchin wär',

Ich liebte auch das Militär!" —

Wenn zu viel Männerpublicum
Sich um den Schalter drängt herum,

So darf selbst grob, ich räum' es ein,

In solchem Fall der Postmann sein.

Iie Höflichkeit bringt den schönsten ^oyn.
Wer so als Postmann allezeit
Sich übt in Freund- und Höflichkeit,

Dem wird der schönste Lohn nicht fehlen.
Aus Anerkennung darf er zählen,

Ein höheres Gehalt erreicht
Er, wenn nicht sicher, doch vielleicht.

Doch mehr muß ihn der Dank beglücken,
Den stets er liest in holden Blicken,

Der ihm ertönt zu jeder Stund
Von manchem frischen Mädchenmund.

Und manchem Postmann tvird's gelingen,
Ein Weib am Schalter zu erringen.

Es rührt sie seine Freundlichkeit,

Daß sie ihr Herz ihm heimlich weiht,

Bis er, eh' sie vor Liebe stirbt,

Durchs Schallerfenster um sie wirbt.

Dann hebt beim frohen Hochzeitmahl
Der Postmann dankbar den Pokal:

„Wer hat zusammen uns geführt?
Stephan allein der Dank gebührt,

Der uns zur Höflichkeit erzog,

Der Reichspostmeister lebe hoch!"

31 e u e Specialitaten.

Wir wir hören, tvird in dieser Saison den, kunstliebenden Publicum ein
ganz besonderer Genuß geboten werden durch das Auftreten der beiden
Gedächtniß- und Vergeßlichkeitsvirtuosen Nauckoni und Nulpini. Nachdem
die beiden zunächst einander mit sich selbst verwechselt haben, wird Nauckoni
seinen eigenen Namen in den Tod vergessen, Nulpini dagegen nach ein-
maligem durchlesen sämmtliche unregelmäßigen griechische» Verba in und außer
der Reihe auswendig hersagen. Alsdann wird Nauckoni seine leibliche
Schlviegcrmutter absolut nicht wiedererkennen, während Nulpini sich mit
überraschender Geschivindigkeit ganz deutlich auf einen Herrn besinnen wird,
der in seinem zweiten Lebensjahr seinem seligen Onkel zwei Zähne plombirte.
Zum Schluß tvird der eben Genannte den ganzen Adreßkalender von 1687
binnen 25 Minuten vorwärts und rückwärts ausivendig lernen und hersagen,
Nauckoni dagegen 37 Herren aus der Gesellschaft hintereinander anpumpen
und dabei jedesmal beim Nächstsolgenden den soeben Borangegangenen völlig
vergessen haben. Alsdann wird er das Bewußtsein seiner eigenen Existenz so
gänzlich verlieren, daß er spurlos verschwindet.

Wir dürfen mit Recht auf die hervorragende» Leistungen dieser außer-
gewöhnlichen Virtuosen gespannt sein.

In Lüderitzland sollen die beiden entflohenen Directoren der Leipziger
Disconto-Gesellschaft beini heftigen Buddeln nach Gold gesehen worden sein.

So wäre vielleicht für die Actionäre noch ein leiser Schininier von
Hoffnung da, Ivieder zu dem Ihrigen zu gelangen.

Ern. Vorschlag zur Täte.

Aus Wunsch des Dr. Hermes sollen im städtischen Rathhause zu
Berlin an verschiedenen Orten (u. a. auch auf dem Thurm) Verkaussstellen
für deulschsreisinnige Zeitungen und Broschüren errichtet werden. Als Ber-
käuser denkt man die Magistratsdiener zu benutzen.

Wir sind damit nicht einverstanden. Wozu sind den» die städtischen Markt-
hallen da? Man errichte doch in diesen die gewünschten Verkaufsstellen, und
zwar in der Nähe der Herings- und Käsestände, ivo es so oft an Papier zum
Einwickeln fehlt. Natürlich dürfte der Preis der deutschsreisinnigen Zeitungen
und Broschüren nicht über den zur Zeit geltenden Maculaturpreis, welcher
10 Pfennig pro Kilogramm beträgt, hinausgehe». Das würde ja auch unge-
fähr ihrem inner» Werth entsprechen.

In Leipzig fragt man sich, welchen Nutzen ein Aussichtsrath hat, wen»
die Directoren einer Bank Jahre hindurch Spitzbübereien verüben können,
ohne daß jemand etwas davon merkt.

Es wird der Vorschlag gemacht, zur Controlirung des Aussichtsrathes
künftig einen Oberaussichtsrath einzusetzen. Dann aber liegt wieder die Frage
vor, wer den Oberaufsichtsrath beaussichtigen soll?

Der Kaiser von Brasilien will, wie die Zeitungen melden, mit seiner
Gemahlin eine Wallfahrt nach Jerusalem antreten.

Wenn die hohen Herrschaften Jerusalem erwischen, sind sie vielleicht so
gut und halten ihn fest.
 
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