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Kladderadatsch: Humoristisch-satirisches Wochenblatt — 49.1896

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Hefte 27-30, Juli 1896
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106

Kin offenes Heheimniß.

In den letzten Sitzungen des Reichstags hat die Frequenz in einer
wahrhast unhciniliche» Welse zugenoimneu, an, 1. Juli wurden bei einer
wichtige» Abstimmung rwtle dreihundert Abgeordnete gezählt! In der
Provinz spricht inan mit Dankbarkeit und andächtiger Rührung von dein
endlich erwachten Pflichtgefühl der Reichsboten, in Berlin aber wissen
weite Kreise, das, die Sache nicht ganz mit rechten Dinge» zugegangen ist.

I» der letzten ;{eit haben sich bei allen größeren Fractivncn Herren
eingcfnndcn, die niemand kannte. Sic erklärte», dag sie Vertreter dieses
oder jenes Wahlkreises seien; sie hätte» bisher daheim nicht abkommen
können, seien nun aber doch noch erschienen, um ihre Stimme für das
Bürgerliche Gesetzbuch abzngebc». Ta sie sämmllich einen vertrancn-
crwclkende» Eindriilk inachtcn und ohne Ausnahme für die Vollendung de»
grogen nationalen Werks einlrclen wollte», prüfte man ihre Legitimation
nicht allzu genau. I» Wirklichkeit war aber nicht ein einziger Ab-
geordneter dabei: cs waren wackere Berliner Bürger, meist angesehene
Mitglieder alter Stammtische, die sich im Interesse des Reichs z» dieser
kleinen Unehrlichleit verstanden halten. Einige von ihnen haben nicht ohne
Glück in der Debatte das Wort ergriifcn, alle aber haben bei den Abend-
sitznngen, wo die Fractione» sich von den Anstrengungen des Tages z»
erholen pflegen, ihre» Mann gestanden.

Philistcrhasle Nörgler und pedantische Siltcnrichler mögen ja über
Betrug und Mogelei schreie», der ansgcklärtc Rcichsbürgcr, dem cs immer
nur um die Sache, nicht um die Person zn thun ist, wird den schlichten
Männern, deren Name» man vielleicht nach einiger Zeit im Lande er-
sahrcn wird, Dank dafür wissen, daß sie in einer kritischen Zeit die Bc-
schlnßsähigkcit dcS Reichstags gesichert haben.

Schrcivcn eines jungen Megers an feinen Mater.

Lieber Papa!

Jetzt bin ich schon einige Woche» in Kladow beim Pastor Schall,
wo auch der Unterossicicr bei der Schutzlnippc, unser Nachbar Zampa,
zu seiner Ausbildung gewesen ist. Die Leute sagen, der Pastor wäre ein
sehr komischer Mann und erregte immer große Heiterkeit beim Palaver
lm „Reichstag", ivie man hier die Doriversammlung nennt. Aber ich finde
den Pastor gar nicht komisch, denn neulich hat er mich sürchtcrlich geleistet,')
als er mich auf einem Kirschbanm antraf, und als ich niich mit meiner
sinnlichen Natur entschuldigte, schrie er: „Du willst wohl mit mir ein
Phil ippchen essen", was ich nicht verstand und was wohl so viel heißen
sollte, als mit großen Herren ist nicht gut Kirsche» essen. Grüße Zampa
von mir niid auch meine beiden Mütter, wogegen der Pastor nichts haben
soll, da du ja zu Hause eine Art Landgras bist und beim Cocosnußpflücken
eine hohe Slellnnq knnimmst, woraus der Pastor viel Werth legt.

Dein Sohn Pepo.

*) Leisten bedeutet in der Sprache der Eingeborenen so viel als ein
Blanko-Accept vollziehen, eines jener zahllosen Schriftstücke, die Fritz
Friedmann srühcr in llmlaus brachte.

Die Rcichstagsmehrheit hat in der dritte» Berathung des Bürgerlichen
Gesetzbuchs die unheilbare Geisteskrankheit als Ehcjcheidungsgriind wieder-
hergcstcllt.

ES war bezeichnend, daß sich in der zweiten Lesung eine Mehrheit
sand, die de» Blödsinn hcrausgestrichen hatte.

L e v e n s r c jj c 1.

Bedrückt dich Leid auch »och so schwer,

Sei fest und trag's mit heiterm Muthe,

Gleichwie die Mail-Coach, immer leer,

Doch fährt mit fröhlichem Getute.

Freiherr von Berlepsch hat sein Portefeuille zurückgcgebc», ohne
de» Besuch des Dr. v. Lucanns abgewarlel zu haben. Wir rathcn
Herrn v. LucanuS, recht bald einigen andere» MiniKWi leine A»i-
warlung zu niachen, daniit die Welt nicht glaube, sein Stern sei im Sinken.

I» Südwestasrika hat ein Hererohüuptling die Engländer um Liefe-
rung von Munition und Waffen ersucht. Obwohl unter den Eingeborenen
des Küstengebiets ein Ausstand droht, ist dicsci» Ersuchen nicht entsprochen
ioorde».

Die Zeitungen verschweigen, daß die chrlicbcndcn englischen Händler
in so unruhigen Zeiten nnmoglich Kinderflinten und Kakavpulvcr aus Credit
abgcben konnten Etwas anderes hallen sie leider nicht ans Lager.

Zur gefällige» Aeachtung!

Ich sehe mich genöthigt, meine geliebte Ostsee auf einige Zeit zu ver-
lassen. Ich freue mich immer, wenn die schmucke „Hohcnzollern" bei
uns erscheint, aber das fortwährende Clavierspielen und Singen Philis
kann ich nicht vertragen. Ich werde so nervös davon, daß inir bis lies in
den Winter hinein weder Mcth noch Grog schmeckt.

Ich verlege deshalb mcinen Wohnsitz jnr die nächsten sechs Wochen an
die Nordküste von Spitzbergen und bitte meine Freunde und Bekannten,
für mich bcslimmte Briese und Sendungen dorthin zn adressiren.

Aegiv, Meergreis.

Sigl lilit in keinem (41asha»s.

Sigl sitzt in keinem Glashaus,

Und für ihn sehr günstig ist das!

Leicht ja könnten böse Bube»

Bo» der Art des Max und Moritz,

Die im Reichstag gar zu häufig,

Nach dem Haus mit Steinen wcrsen
Und dabei ihn selbst verletze».

Oder auch der liebe Himmel,

Der sich vieles läßt gefalle»,

Aber doch am Ende wild wird,

Schickt einmal ein Hagelwetter
Auf des Hauses Glasdach nieder.

Was wohl ivürd' aus Ehren-Sigl,

Wenn die Schlossen nicdergingen
Tauben-, Hühner-, straußcneigroß,

Und er säß' in einem Glashaus!

Doch das Schlimmste wär's für Sigl,

Wenn er säß' in einem Glashaus
Und er sllhr' in seinem Eifer,

In der Hitze der Debatte

Mit dem Kopf mal durch das Glas durch.

O, ich seh' ihn schaudernd vor mir.

Wie entsetzt er durch das Glas schaut,

Ganz den Kopf gespickt mit Scherbe».

Nun, zum Gluck >a >>t bekannt es:

Sigl sitzt in keinem Glashaus.

Etwas andres srcilich quält ihn:

Daß er nicht darf unvorsichtig
In die Helle Sonne treten,

Weil den Kops er voll von Butter
Hat, wie böse Mäuler sage»,

Voll sogar von Margarine —

Doch er sitzt in keinem Glashaus.

ZU», Abgang des Kerrn v. Acrlcpfch.

Voll blies der sociale Wind
Einst, als du absuhrst von dem Strand,
Von oben her: jetzt weht er lind,
Veränderlich ivie Winde sind,

Und setzt das Schisslein aus den Sand.

Der neue Handelsminister Brcsetd gefällt den ultramontancn
Zeitungen nicht. Das ist nicht zu verwundern: Herr Brefeld ist katho-
lisch, und da kann kein schwarzes Blatt da? gewohnte Klagelied anslimmcn
und über mangelnde Parität jammern.
 
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