Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
186

I L70

.. .

Die Proberede

Die Debatten über den Zolltarif werden in den nächsten Tagen
beginnen, und es bedarf nicht der Versicherung, das; die berufenen Ver-
treter der Landwirthschaft wohl gerüstet und gewappnet in den schweren
Kampf ziehen. Vor alleui gilt dies natürlich von dein Bundesdirector
Dr. Diederich Hahn. Er hat, um sich über seine wirkliche Leistungs-
fähigkeit als Dauerredner klar zu werden, sich jüngst '■ in einem
pommerschen Dorfe einer interessanten Aichnngsprobe unterzogen und
diese Probe natürlich glänzend bestanden. Einer unserer' agrarischen
Correspondenten berichtet uns darüber Folgendes.

Am 19. d. M., Abends 6 Uhr, hatten sich im WIrthshause des
Dorfes K. im Kreise L. vierundzwanzig Gutsbesitzer und Bauern
zusammengefunden, um eine Probe-Dauerrcde des Vundesdircctors
anzuhören. Es war ausgemacht,' dag Dr. Hahn acht Stunden in
einem Zuge über den Zolltarif reden sollte, ohne in jeder Stunde
mehr als drei kleine Pausen von höchstens einer Minute Dauer zu
machen. Zum Zuhören wurden immer sechs Herren auf zwei Stunden
abcommandirt, während die übrigen achtzehn sich durch Skat und
andere Gesellschaftsspiele die Zeit vertrieben.

Das Resultat entsprach durchaus den gehegten Erwartungen. Nach
Ablauf der achten Stunde war Dr. Hahn noch so frisch und redelustig,
daß er noch freiwillig zwei Stunden zugab. Als auch diese verflossen
waren, wollte er noch zwei Stunden weitersprechen, aber die erschöpften
Zuhörer erklärten, daß sie anr Ende ihrer Leistungsfähigkeit angckonnuen
wären, und so machte man denn Morgens nach 4 Uhr Schluß und
widmete sich nun ganz der geselligen Unterhaltung. Unter den Zuhörern
befand sich auch ein Thierarzt von bewährter agrarischer Gesinnung,
der, wie das auf dem Lande meist geschieht, nebenher auch Menschen
behandelt. Er erbot sich, den Kehlkopf des Dauerredners 311 unter-
suchen, dessen Stimmbänder nach seiner Uebcrzeugung ganz verschwollen
und blutig sein mußten und ärztlichen Beistand nöthig hatten. Lachend
lehnte Dr. Hahn mit voller, kräftiger Stimme dies Anerbieten ab,
machte aber zugleich darauf aufmerksam, daß verschiedene Herren sich in
verdächtiger Meise die Ohren rieben, als ob sie starke Schmerzen darin
empfänden. Eine sofort angestellte Untersuchung ergab denn auch, daß
acht Herren von einer heftigen Entzündung des Trommelfells befallen
waren; bei dreien zeigten die Felle sogar kleine Risse und bluteten
stark. Der Arzt machte den Patienten Einspritzungen von heißem Grog
in die Ohren und verordnete dasselbe Mittel auch innerlich. Hierdurch
fühlten die Kranken sich so gestärkt, daß sie sich wieder bei den Gesell-
schaftsspielen betheiligen konnten./ "

Als die Versammlung gegen 8 Uhr früh geschlossen wurde, waren
alle der Ueberzeugung, daß die Landwirthc unter der Führung ihres
erprobten Bundcsdirectors es mit den Rednern aller antiagrarischcn
Parteien aufnehmen können.

Zeitungsnachrichten zufolge wird in der vornehmen Potsdamer
Gesellschaft jetzt viel Spiritismus getrieben, seitdem gegen das Kesimd-
beten an maßgebender Stelle eingeschritten worden ist. Da man
Zeitungsnachrichten gegenüber sehr vorsichtig sein muß, so haben wir
einen Specialcorrespondenlen nach Potsdam geschickt, um zu untersuchen,
ob die erclusioen Kreise dort wirklich Geister citiren. Zu unserer Eenug-
thuung berichtet er uns, daß die Zeitungsgerüchte offenbar erfunden
sind; er habe sich in der vormehmen Gesellschaft von Potsdam genug
umgesehen, aber in ihr keine Spur von Geist gefunden.

Zur Abwehr

Wir sollen Englands Feinde sein?

Nein, sagen wir und nochmals nein!
Denn wären Englands Feinde wir,

So würden wir nicht anders können
Als England solche Schufte gönnen'

Wie Chamberlain und mit Pläsir
Sie herrschen sehn. Nein, England lhut
Uns leid, denn wir sind England gut.

Der Titel Magistratsrath, den der-Berliner Magistrat vor
kurzem den lebenslänglich angeftellten Magistratsbeamten bcigelegt hatte,
darf von diesen, laut Regierungsbeschluß, nicht weiter geführt werden.

Magistratsrath klingt aber auch nicht schön. Wie wäre es mit
dem einfachen „Magister"? Dagegen wird die Negierung vermutlich
nichts einzuwenden haben.

Die Wendung

Die Depesche Kitcheners, dis von der Niederlage des Majors
Fisher bei Villiersdorp berichtete, hat in England lauten Jubel er-
regt, weil ein Umstand, dessen Bedeutung der Oberkommandirende nicht
genügend hervorhcbt, auf das Deutlichste darauf hinweist, daß jetzt
endlich die entscheidende Wendung eingetrete» ist, die einen baldigen
siegreichen Abschluß des langwierigen Feldzuges hoffen läßt. Nachdem
Kitchener die Stellung und den Plan des Majors geschildert hat,
fährt er fort: „Um 9 Uhr Morgens flohen seine Pferde plötzlich
in wilder Hast, und in der Verwirrung setzte sich der Feind fest."

In einem glänzenderen Licht können die Pferde der englischen
Cavallerie wohl nicht erscheinen! Sind das dieselben Thiere, von denen
die von den Buren erkaufte außerenglische Presse, vor allem natürlich
die deutsche, in so wegwerfender und höhnischer Weise gesprochen hat?
Was hat man nicht von ihnen behauptet! Durch Krankheiten geschwächt
sollten sie sein, bis zur Erschöpfung abgehetzt und ermüdet, kaum noch
im Stande,' sich auf den Beinen zu halten. Und was thun die lieben
Thiere jetzt? Sie brennen durch, sie sausen, ohne eine Aufforderung
ihrer Reiter abzuwarten, über Stock und Stein davon und sind nicht
zum Stehen zu bringen. Das sind keine abgehetzten, halb verhungerten
Gäule, das, sind edle Rosse voll Kraft und Frische und Uebermuth! Es
ist kein Zweifel mehr, die entscheidende Wendung ist eingetreten, die
Pferde haben sich allliinatisirt, und mit solchen muthigen, kraftstrotzenden
Rossen wird es für die tapfern englischen Krieger eine Kleinigkeit sein,
die letzten Buren bis in ihre letzten Schlupfwinkel zu verfolgen und
unschädlich zu machen!

Man hat vernommen, daß die englische Regierung in den
letzten Wochen den Buren wieder sehr günstige Bedingungen stellen
wollte. Nun aber das Verhalten der wackern Rosse von Villiersdorp
bekannt geworden ist, hat man jeden Gedanken an Unterhandlungen
ausgegeben und rechnet mit Bestimmtheit darauf, daß Kitchener nach
wenigen Wochen telegraphirt: „Der letzte Bur hat sich ergeben."

Deutsche Empfindlichkeit

Chamberlain behauptet, er hätte nichts Beleidigendes über
Deutschland gesagt. Was hat er denn gesagt? Er hat gesagt: „Sie
(die englische Negierung) wird sich doch nie dem nähern, was diese (die
andern). Nationen in Polen, im Kaukasus, in Bosnien, Tonkin und im
Kriege von 1870 thaten."

Und durch die Behauptung, sie wären noch viel grausamer gewesen,
als die Engländer je gewesen sind und sein werden, fühlen die Deutschen
sich beleidigt! Nein, mit Leuten, die so empfindlich sind, ist beim besten
Willen nichts anzufangen.

Am sechsten Dccember fängt der Knecht Ruprecht oder der
Niklas an umzugehen, der für die artigen Kinder einen Sack mit
Nüssen, für die unartigen aber eine Ruthe nntbringt. 2n Reichstags-

kreisen heißt es, daß er diesmal eine besonders große und scharfe Ruthe
führe. Aber auch die Artigen hätten nicht viel von ihm zu erwarten,
da der Sack, den er über der Schulter trägt, nur taube Nüsse enthalte.



Unjerein

andichter
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
Deficit
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Kladderadatsch: Humoristisch-satirisches Wochenblatt
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-3 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsdatum
um 1901
Entstehungsdatum (normiert)
1896 - 1906
Entstehungsort (GND)
Berlin

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Satirische Zeitschrift
Karikatur
Zolltarif
Defizit
Rute <Botanik>
Sack

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Zeitpunkt Aufnahme (normiert)
2008-10-22 - 2008-10-22
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Kladderadatsch, 54.1901, S. 650
 
Annotationen