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Voraussagungen des alten Schäfers Nomas für das Jahr 1905

Der ©aber zwischen den Berliner und den Leipziger Rothen spitzt
sich immer mehr zu. Auch die (Genossinnen betheiligen »ich daran und
nehmen Partei. Zwischen Rosa Luxemburg und Clara Zetkin
entspinnt sich eine arge Fehde. Nachdem giftige Scheltworte in großer
Zahl hin und her gef Ionen sind, fordern die beiden einander auf Augen-
auskratzen. Schon stehen sie auf der Mensur, da stellt sich, um Frieden
311 stiften, Stadthagen zwischen sie und wird von ihnen auf das
Grauenhafteste zugerichtet. Versöhnt verlassen die beiden Feindinnen
darauf den Kampfplatz.

• •

2m Berliner Thiergarten finden zahlreiche Enthüllungen statt, bei
de,len die Kunst sich beide Augen zuhalt.

* •

*

An die Stelle des klugen Hans tritt die verrückte Hanne, eine
Kuh, die angeblich übergeschnappt ist. Monatelang beschäftigen sich die
Gelehrten mit ihr, bis es sich endlich herausstellt, das; es alles Schwindel
war. Die Hanne ist gar nicht übergeschnappt, sondern vollkommen
vernünftig.

• •

Ans Negierungskreisen verlautet von der Absicht, auf Lysol, insofern

es zu Selbstmordzwecken benutzt wird, eine hohe Steuer zu legen. Man

verspricht sich einen reichen Ertrag davon.

* *



Der Dreschgraf P ückle r geht unter die Zionisten, füllt 30 von ihm
gecharterte Schiffe mit Inden an und fährt mit ihnen nach den, Orient.
Tort gründet er in Palästina ein Königreich Neu-Judäa, zu dessen
Beherrscher er sich selbst inacht. Mit unerhörter Grausamkeit regiert er.
Hinrichtungen folgen auf Hinrichtungen, bis er endlich allein noch da ist.
Mit den Worten „Es ist erreicht" fährt er darauf über das Tod'.e Nie er
nach Klcin-Tfchirne zurück.

• »

*

Singer wird auf sein Alter und durch die Liebe, die so oft mit
dem Alter kommt, zum Sänger. Er gibt im Verlage des „Vorwärts"
ein Bändchen erotischer Lieder heraus, das der Schettler, der „hohen

Wonnegans", wie er sie nennt, gewidmet ist. Es wird günstig benrtheilt.

* »

Der„V orwärts" ändert seinen Namen und nennt sich„Rückwärts".

• *

In Oldenburg wird eine neue Straße „Die lustige Sieben"
benannt. Ein „Pokerplatz" e.ristiert dort bekanntlich schon.

* *

*

Ein schönes Wort über die so vielfach verkannten und verleumdeten
Jesuiten wird im Nachlaß eines verstorbenen bedeutenden Staatsmannes
gefunden. Es lautet: „Eigentlich sind sie doch immer noch Verhältnis;-
mäßig ehrlich."

* #

*

2n den Böhmischen Wäldern werden auffallend viel junge preußische
Juristen angetroffen. Als Grund ihres Aufenthalts dort wird von ihnen
angegeben: „Bejchäftigungs- und Aussichtslosigkeit".

* *

*

2m Haag findet eine Friedensconserenz statt, die zuletzt in eine
großartige Schlägerei ausartet. Ueberall fliegen zerbrochene Gliedinaßen
umher, und mit knapper Noth entrinnt Bertha dein entsetzlichen Ge-
tümmel. Dabei wird ihr der Sonnenschirm entwendet, und die' Taube
auf ihrem Hut verliert den Schnabel und beide Flügel.

Von einer Wahrsagerin in der Gegend von Vomst wird für 1905
ein schlechter Jahrgang prophezeit. Da sie sich aber fast immer geirrt
hat und außerdem in dürftigen Verhältnissen lebt, wird von Wein-
freunden eine Sammlung für sie veranstaltet. Die Abstinenten schließen
sich aus.

* *

*

Der „Verein der perversen Dichterinnen" veranstaltet in der
Nacht vom 30. April zum ersten Mai ein Besenreiten. Bei der Rückkehr durch
die Schornsteine tragen einige von ihnen leichte Verletzungen davon.

* * *

Es ergeht eine Verordnung, wonach Häuptlinge der Wilden die
Orden, die ihnen wegen humanen Verhaltens verliehen worden sind,

auf dem „Anecho" zu tragen haben.

* *

#

Die Quadratur des Cirlels, die Lenkbarkeit des Luftballons und
die Wurst ohne Ende bleiben auch im Jahre 1905 voraussichtlich noch
ungelöste Fragen. So behält auch die Nachwelt etwas zu thun.

Die Neujahrsnacht

wird in größeren Städten immer etwas geräuschvoll verlaufen. Es be-
finden sich eben in den ersten Stunden des neuen Jahres zu viele
Menschen in leicht oder schwer angeheitertem Zustande auf der Straße,
und viele von ihnen können es nicht lassen, die ihnen Begegnenden zu
necken oder gar anzurempeln. Nur durch den Einfluß der Mode könnte
hier einmal ein Umschwung eintreten.

Bekanntlich entstehen alle Schlägereien in der Neujahrsnacht daraus,
daß jeder schwarze Cylinder, der sich auf der Straße zeigt, ohne Gnade
eingetrieben werden muß. 2m letzten Sommer haben wir aber an den
Strohhüten gesehen, wie gut sich ein steifer Hut macht, der schon in
stark angebenlten, Zustande verkauft wird. Wenn nun auch die hohen
Eylinder schon in dieser Verfassung auf den Markt kämen, wer könnte
da Neigung verspüren, sie noch weiter zu verarbeiten? Ein so unritter.
liches Gelüst könnte sich nur in Individuen von einer Roheit und Ge-
rneinheit regen, wie sie selbst in unseren großen Städten selten vorkommt.
Damit wäre dann in der Neujahrsnacht das bekannte „Friede auf Erden"
für die Straßen zur Wirklichkeit geworden, und eine Störung der öffent-
sichen Ruhe könnte rmr rroch von den Schutzleuten ausgehen, die sich
dann ja ganz überflüssig Vorkommen müßten, was für einen pflichttreuen
und eifrigen Beamten immer eine sehr unangenehme Empfindung ist-

Das Schlintrne bei der Sache ist nur, daß die Mode sich nicht be-
einflussen läßt, sondern immer als wahre Selbstherrscherin ihre eigenen,
oft recht wunderlichen Wege geht. Und wenn sie zufällig einmal von
selbst aus den Einsall tommt, die Cylinder mit kindskopsgroßen Beulen
* zu versehen, so ist darauf zu wetten, daß diese ebeufo praktische wie
geschmackvolle Tracht schon nach einigen Jahren wieder verschwindet.

Der schwedische Forscher Dr. Gunnar Anderssen beweist in
einer äußerst lehrreichen Studie, daß wir einer neuen Eiszeit
entgegengehen.

Nun ja, drum wird auch das Kohlenjyndilal von Tag zu Tag üppiger.

Das russische Ministerium des 2nnern hat allen höheren Post-
beamten das Recht verliehen, alle aus dem Auslande einlaufenden Briefe
zu öffnen, ihren 2nhalt zu prüfen und sie, falls sie sich irgendwie mit
den russischen Zuständen beschäftigen, auf der Stelle zu vernichten.

Sonst sind ja die russischen Postbeamten etwas bequem, aber diese
Vermehrung ihrer Arbeitslast haben sie mit Freude unb Beifall begrüßt.
Es gibt immer noch arglose Leute, die in ihren Briefen zuweilen
Papiergeld verschicken, und jo dürfte die genaue Durchsicht aller aus
dem Auslande eingehenden Sendungen manchinal recht lohnend sein.

Wenn ich es nicht thue, dann thut es ein anderer

Ausspruch eines uiiflemimitou
Staatsmannes

(Mel.: „Wer bat denn's Bier umgcschüll'r?")

Chor der Staatsminister: Wer hat das denn wieder nun
gesagt? Wer hat's gethan?

Graf Bülow: 2 net!
v. Einem: 2 a net!

Dr. Studt: I net!

Graf Posadowsky: 2 a net!

Chor: Dös da, der Pod, der hat's g'wiß wieder g'sagt!

Die Verwaltung der zur Errichtung eines Stolze-Den km als ge-
sammelten Stiftung will den Fonds anderweitig verwenden, weil „Ehren-
erweisungen durch Tenkmalserrichtungen in weiten Kreisen sich über-
haupt keiner Zustimmung mehr erfreuen."

Bei einem Bankett des Bartholomewclubs in London wurden die
Toaste nicht mehr gehalten, sondern gedruckt an die Gäste vertheilt, weil
Reden nicht mehr beliebt 311 sein scheinen.

Wenn Statuen nicht mehr errichtet und Toaste nicht mehr gehalten
werden, lohnt es sich baim noch zu leben?
 
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