Kladderadatsch (73.1920)

Genf, eine Fata morgana

SimonS, der Reiter in der Wüste

Kleiner Briefkasten für Jedermann

'•» Alter Sturmgescllc: Warm» man nicht wieder,
wie einst in der französischen Revolntion, anstatt aller
Götter »nd Herrscher, die Göttin der Vernunft ans den
Thron erhebt? — Weil cs ja diesmal die Göttin der
Unvernunft sein müsste!

Beunruhigter Bürger: Tb Herr Kopp in Berlin
ebenso unverfroren bolschewistische Propaganda treibt, tvic
seinerzeit der prächtige Herr Joffe? — Hoffentlich nicht:
man wird ihm ja wohl zu verstehen gegeben haben, daß
das nicht jo weiter geht. Quod licet Joffi, non licet

Professcnr Chauvin, Paris: Sie beweisen uns
ans Goethe, dag alle deutschen Frauen von jeher dem
Trünke ergeben gewesen sind. „Man nehme selbst", so
schreiben Sic, „sein Gretchen." Sogar in der Kirche kann
sic den gewohnten Alkohol nicht missen und verlangt mit
dem Rufe: ./Nachbarin, Euer Fläschchen!" stürmisch nach
der Kiimmclpnlle, die die brave Nachbarin natürlich auch

nicht zu Hanse gelassen hat." — Ach ja, bei Goethe säuft
überhaupt alles, vom jungen Grclhchen bis zum alten
König von Thule — gar nicht zu reden von den Herren
Studiosen Frosch, Brander und Siebei, deren Hausphiline
und Konkneipautin Gretchen wahrscheinlich gewesen ist.

Hausfrau in M.: Daß Ihre wieder und tvicdcr
ausgcbesscrlcn Strümpfe schon ganz „verstopft" aussehen,
glauben wir gerne; es ist schlimm, wenn ein Strumpf an
'Verstopfung leidet. Auch für ihre altersschwachen Hemden
und Röcke haben wir volles Verständnis. Aber da kann
selbst Prof. Steinach nicht mehr helfen.

Zentrnmsmann in O.: Sie sind überzeugt, dag
Erzbcrger seine „Erlebnisse im Weltkriege" nur „zur
Steuer der Wahrheit" geschrieben hat. — Ra, na. Die
Wahrheit, zumal in Stellersachen, ivar nie seine starke
Seite. Im übrigen hält er c-5 mit Mephisto: „Das Beste,
ivas du wissen kannst, darfst du den Buben doch nicht
sagen." Das merkt man.