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Kladderadatsch — 76.1923

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Hefte 22-26, Juni 1923
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https://doi.org/10.11588/diglit.2303#0406
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„Fingerzeig für Amerikaner in Berlin"

m.br. Ein Amerikaner hat sich der löblichen
Aufgabe unterzogen, seinen Landsleuten
aus Dollarika für die Reisezeit einige be-
herzigenswerte Winke und Aufklärungen
über die Deutschen im allgemeinen und
über die Berliner im besondcrn zu geben,
und zwar in Form eines Merkblatts, das
er „Fingerzeig für Amerikaner in Berlin"
benennt. Er gibt sich darin viele Mühe,
einige der noch bei seinen Landsleuten
bestehenden Vorurteile gegen die Germans
nach Möglichkeit zu bekämpfen. So sehr
wir dies löbliche Unternehmen auch schätzen,
so sind wir doch der Ansicht, daß der
„Fingerzeig" viel kürzer, derber und klarer
gehalten werden könnte; wir würden un-
gefähr diese Fasiung Vorschlägen:

Berlin liegt nicht auf einem Breiten-
grade mit Irkutsk; es hat im Gegenteil
ein so gemäßigtes Klima, daß die Weiß-
bierwirte dort in den Monaten Juli und
August in Hemdärmeln herumlaufen. Die
GermanS sind auch Menschen, teilweise
sogar ganz achtungswcrte, wenn sie auch
nicht englisch sprechen. Die Germans, auch
die Berliner, stammen von den Vandalen

ab, die Rom, Nordfrankrcich und Belgien
verwüsteten, sie haben aber nach dem
Kriege viele Vorzüge von den Amerikanern
angenommen und können sogar ganz höf-
lich und liebenswürdig sein, wenn sie
amerikanisches Geld sehen. Viele verstehen
sogar zu boxen, und manche unter ihnen
kennen auch den Namen des Präsidenten
der Vereinigten Staaten.

Der Charakter der Germans ist viel
harmloser, als die französischen Berichte
sagen; sie schmeißen im Jähzorn keine
Lokomotiven um, auch fressen sie keine
Stiefelwichse. Ihre ursprüngliche Wildheit
und Böswilligkeit hat durch den Umgang
mit denzivilisierten westlichen Nachbarvölkern
schon um vieles nachgelassen, auch die
ihnen von unserem Präsidenten Wilson
verordnete demokratische Staatsform hat
ihnen viel von ihrer barbarischen Rauheit
und urwaldmäßigen Tücke genommen.
Einige Berliner im Urzustände findet der
Reisende aber noch im sogenannten
,Lunapark" an. Es ist dies eine Art
von Naturschutzgebiet wie ungefähr der
Iellowstonepark in Amerika, aber mit

Musik; cs spielen 4 Kapellen und 2 Jazz
banden.

Der angenehmste Mensch in Berlin ist
der Oberkellner im Hotel Adlon; er ist
völlig gcntlemanlike und verfügt über tadel-
lose amerikanische Manieren. Er ist durch-
aus nicht mehr blutdürstig-militaristisch
und hat, wie er beschwört, nie in seinem
Leben mit Ludendorff „Deutschland, Deutsch-
land über alles" gesungen.

Sehr geschmeichelt fühlt sich der Berliner,
der sehr begeistert von seinem Reichsprä-
sidenten ist, wenn man an ihn die Frage
richtet: „How is your Fritz Ebert?“ Dann
antwortet er meistens: »I beliewe he is

Biele Berliner zeigen sogar einige Spuren
von Gemüt, ja, mancher kann unter Um-
ständen herzenswarm werden, wenn der
amerikanische Reisende sich mit ihm an
einen Tisch setzt und Whisky oder Grog
bestellt. Doch muß man sich auch hier
sehr wohl hüten, ihn zu reizen, weil die
meisten Germans, trotz der scharfen Auf-
sicht des Generals Rollet, immer ein
Maschinengewehr bei sich zu tragen Pflegen.

Was ist „passiver Widerstand"?

Bricht Räubervolk ins deutsche Land,

So greife nicht zum Knies!

Leist' meinetwegen Widerstand,

Doch bitte, ganz passiv!

Passiv heißt, daß man's schweigend trägt,

Wenn Gallierpeitsche tief

Ins deutsche Antlitz Striemen schlägt.

Der Weise trotzt passiv.

Dem schmierigen Nigger, wackre Maid,

Der dich beiseite rief,

Begegne nicht mit Tätlichkeit!

Sei duldsam! Sei passiv!

Und siehst du so was, deutscher Mann,
Dann blicke ja nicht schief!

Was gehn dich Niggcrspäße an?

Entferne dich passiv!

Doch falls mal einem, der gehetzt,

Die Galle überlief,

So daß er sich zur Wehre setzt,
Deutschgründlich, nicht Passiv —

Dann drauf! Verfolge solchen Tropf
Mit Steck- und anderm Brief,

Schreib' Prämien aus auf seinen Kopf!
Hierin sei nicht passiv! Timon der gangere.

Zunstbrauch

>. s- Wie Havas berichtet, haben die Minister
bei der Brüsseler franko-belgischen Kon-
ferenz, um den Fragen der Journalisten
zu entgehen, den Sitzungssaal durch eine
Hintertür verlasien.

Es ist ja eine alte Weisheit, daß das
Wesen der Diplomatie hauptsächlich in der
Benutzung von Hintertüren besteht.

Ganz unsere Meinung

>.»- Auf einer sozialdemokratischen Ver-
sammlung in Feucht in Bayern wurden
Hochrufe auf Frankreich ausgebracht.

Bravo! Hoch die Franzosen, möglichst
hoch. An den höchsten Baum, mindestens
aber an den Galgen!

Nollet, der Kontrolleur

(Der deutschen Regierung wurde milgeleilt,
daß die „interalliierte militärische Kontrolle"
wieder ausgenommen werden mutz".)

Pünktlich, wie beim Klingelbolle
Man das Töpfchen Milch bestellt,
Kommt nun auch mit der Kontrolle
Nollet, General und Held.

Um die Zeit der Morgenmette,

In der ersten Morgenfrüh,

Schnarcht er noch in seinem Bette
Im Hotel von Bellevue.

Und es weckt an seinen Türen
Schon der Hausknecht mit Geschnauf:
„General, zum Kontrollieren
Wollten sie um Viere auf!"

Und geschmeidig wie ein Affe
Bei dem Tagewerksbeginn,

Trinkt er schnell noch seinen Kaffee
Und springt fix ins Auto rin.

Denn er darf nicht ruhn und säumen,
Schuften muß er wie ein Vieh,

Und er sorgt im Wachen, Träumen
Für die herrliche Patrie.

Ach, die Luft wird ihm verleidet,
Denkt er dran, wird er nicht froh:
Daß schon einen — Knüppel schneidet
Dieser Michel irgendwo!

Schaut Held Nollet Eichen, Eschen,
Wird Is sosur ihm furchtbar bang:
Stöcke wachsen da — zum Dreschen!!
„Fällt die Bäume! En avant!"
Welch ein wüster Traum und Krempel!
Nollet, ach, ich wär' entzückt.

Wenn man den Kontrollestcmpel
Dir erst auf den Podex drückt! m.de.

Nur

Die Fernsprechgebühren bei der Post
werden nicht auf das Siebenfache, sondern
nur auf das Fünffache, die Postgebühren
nur auf das Dreifache erhöht.

Der kleine Karl riß dem Maikäfer nicht
sämtliche Beine aus, sondern nur drei.

Frankreich hat nicht die Absicht, sich
das ganze Deutschland anzugliedern, sondern
nur die Länder bis zur Elbe.

Mit der seidenen Schnur braucht man
sich in China nicht aufzuhängen, sondern
nur zu erdrosseln.

Der Bürger muß heut nicht auf alle
Nahrungsmittel verzichten, sondern nur auf
die nahrhaften.

Shylock verlangte nicht sieben, sondern
nur ein Pfund Fleisch seines Schuldners.

„Aufgrwcrtete lvO Mark"

Der kleinen Sparer lange Reihen
Sind für den Zinsendienst ein Fluch.
Drum tilgt man ihre Kriegsanleihen
Mit Recht aus dem Reichsschuldenbuch.
Wer vormals—Deutschland mußte leben!—
Manch goldnes Doppelkronenstück
Für Kriegsanleihe hingegeben.

Kriegt heut' sein Geld in bar zurück.

Und mehr als das! Er fühlt sich stärker
Als je von Schicksals Gunst bestrahlt.

Es werden ihm für hundert Märker
Zweihundertsechzig ausgezahlt.

Solch 'ne Offerte auszuschlagen,

Wär' unbegreiflich. Keiner kann's.

Das Deutsche Reich, man muß schon sagen,
Erbarmt sich mild des kleinen Manns.

Und Jubelschreie klingen brausend.

Der kleine Mann leckt Honigseim.

Beim Dollarstand von 90 000
Bringt er genau 'neu Pfennig heim.

Timon der Jüngere.
 
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