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Äerlin, den 4. März 1928

Li'e>eS Älatt erscheint täglich mit Ausnahme der Wochentage

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Montag, den 5. März
Welch ein Treiben, welch ein Trubel!
Brandend wogt das Menschenmeer;
Jubel, ungeheurer Jubel,

Denn ein König kommt daher.

Und ein hell Trompetenschmettern
Und ein selig Jazzgeguick
Grüßt ihn aus den stolzen Blättern
Dieser „freiesten" Republik.

Dienstag, den 6. März
Warum sollen sie nicht feiern
Diesen königlichen Mann,

Der aus Preußen nicht, noch Bayern
Stammt, nein, aus Afghanistan.

Mittwoch, den 7. März
Aber jubelnd folgt die Menge
Leider auch des Wagens Spur,

Als viel später durchs Gedränge
Ruhig Preußens Kronprinz fuhr.

Wochenkalender

Donnerstag, den 8. März
Schmock, ach, haßt bis auf die Knochen
Ihn und sagt es kurz und barsch.

Er, der wedelnd einst gekrochen
Einzeln sowie auch summar'sch.

Freitag, den 9. März
Und wenn arglos durch die Linde»

Heut der Deutsche Kronprinz fährt.

Weiß der Schmock den Ton zu finden,
Den die Gosse ihn gelehrt.

Sonnabend, den 10. März
Heil und Sieg, wenn hochvermögend
Kommt ein Prinz uns übers Meer.

Nur ein Prinz aus deutscher Gegend,
Der ist heute „nicht weit her".

Doch ein Trost neigt sich hernieder.

Daß die Wunde schnell verharsch':
Schmock, kommt's einmal anders wieder,
Kriecht er einzeln und summar'sch!

Kkadderadvlfch.

Der Prozeß

„0 /i!/ öapslf üv9pco7CO= ov xaiSevezail“

illemmber.

Sachvkrsiindiger im Kranhprozkh vernommene Lberfludicndireklor Goldbeck sogke noch Zeilungiberichicn u. a. Mustkerklnder
nncr gefährde!. Geigerlinder mehr al« die Kinder von Trompelenbläsern . . . Äranh fei ein Dichter! Er fei lebhost wie ein
Dichter. „Denken wir on Goethe. Denken wir an Faust!">

O welch ein Schauspiel, würdig dieser Zeit,
Wie überhitzte Kinder Wollust kühlen!

O Glücksgefühl, so in Gemütlichkeit

Änd ungestört im süßen Schlamm zu wühlen!

Ach, jeder griff begierig nach dem Blatt,

Zu schaun, wie alles Heimlichste gewesen:
Man ward nicht müde, ward nicht satt, noch matt,
Das Anaussprechlichste gedruckt zu lesen.

Denn alles ward mit Anmut hochbeglückt

And mit Fanfarenton hinausgeschmettert-

O zarte Jungfern, mit dem Krantz geschmückt,
Der leider ja ein wenig schon entblättert!

Hornberger Schießen! Sucht nur nicht so weit
Mach Mitteln, zu bekämpfen solche Moden!
Ein spanisch Röhrchen ist's zur rechten Zeit,
Dazu ein strammgezogener Hosenboden!

And zweifelt nicht, daß dies auch Liebe sei:
Strenge und Liebe küssen sich einander.

Man kennt ja doch das „Öu paideuetai"

Des nicht ganz unerfahrenen Menander.

Ein Sachverständiger, wie er lebt und leibt! . . .
Heut hört man leider allzuviel Geschwafel. —
Den stolzen Mamen Goldbeck aber schreibt
Mit goldenen Lettern Klio in die Tafel.

Musikerkinder sind gefährdet sehr.

Sprach Goldbeck zu den Hörern und den Lesern.
And die von Geigern sind es sehr viel mehr.
Als die — da staunste — von Trompetenbläsern!

Daß diesen allzuknapp die Puste sei,

Das, denk' ich, kann man allenfalls verstehen.
Man bringt die Flötentöne ihnen bei
And wundert dann sich, wenn sie flöten gehen.

Den Geigerkindern aber, sicherlich
Hängt allezeit der Himmel voller Geigen,
And. wer da geigt, versteht sich auf den — Strich.
Doch still! Wir wollen lieber davon schweigen!

And Doktor Goldbeck, Oberstudienrat,

Er wußte, ach, es war zum Steinerweichen,
Den Herrn Pennäler Krantz, ja, in der Tat,
Mit Faust und, o, mit Goethen zu vergleichen!
Da lauscht die Welt verwundert, selig ganz,
Gefesselt, wie der Ochse durch den Lasso.

„Wie zieret denbescheidenenMannder-Krantz!"
Denkt mancher wohl bei Goldbeck, wie bei Tasso.
Es zuckt mein Herz als wie ein Lämmerschwanz,
Es zuckt die arme Zeit in Wahnsinnsnöten
Einst krönte man den Goethe mit dem Kranz.
Heut aber ziert man einen —Krantz mit Goethen!
 
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